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Kämpfe im Süden LibyensIslamisten richten Massaker an

Ein Massaker an Rekruten trägt den Ost-West-Konflikt auch in die südliche Sahararegion. Das könnte den Druck auf die Migrationsrouten erhöhen.

Getötete Rekruten: In Bengasi ließ sich die Armee noch feiern Foto: reuters

Tunis taz | Als ob Libyen nicht schon chaotisch genug wäre, sind bei einem Überraschungsangriff einer Milizenallianz auf die Luftwaffenbasis Brak Shati in Südlibyen am vergangenen Freitag mindestens 141 Soldaten getötet worden. Viele der Rekruten waren erst am Vortag im Rahmen einer der größten Truppenparaden seit der Revolution von 2011 vereidigt worden.

In der Region um die Saharametropole Sebha bekämpfen sich seit Monaten die Armee von Feldmarschall Khalifa Hafter, die dem in Ostlibyen sitzenden Parlament nahesteht und die Einheitsregierung in der Hauptstadt Tripolis im Westen Libyens ablehnt, und eine lose Allianz von westlibyschen Gruppen, die sich unter der Führung von Kommandeuren der Hafenstadt Misrata auch als libysche Armee in Unterstützung der Einheitsregierung bezeichnet. Zu letzteren gehörten die Angreifer vom Freitag.

Die bisher von Libyens Ost-West-Konflikt verschont gebliebene südliche Fezzan Provinz ist reich an Öl und Gold, von hier wird zudem die 3 Millionen Einwohner zählende Region von Tripolis mit Wasser versorgt. Durch das Gebiet führt auch die wichtigste Migrationsroute aus Westafrika zu den Mittelmeerstränden in Sabratha und Tripolis, über die aufgrund der Eskalation der Gewalt seit dem Wochenende Tausende an die Küste drängen. Libysche Aktivisten warnen bereits wegen fehlender Boote vor neuen Unglücken auf dem Mittelmeer.

Die Empörung über die auf Handyvideos festgehaltenen Erschießungen und Enthauptungen der Rekruten in Brak Shati ist groß. Ein spontan einberufener Stammesrat gab der „Third force“, einer Art Friedenstruppe unter dem Kommando der Einheitsregierung von Premier Serraj, 72 Stunden Zeit, den Fezzan zu verlassen. Kommandant Mohamed al-Treki wird für die „Kriegsverbrechen“ verantwortlich gemacht. Er allerdings sprach von einem normalem militärischem Angriff.

Serraj entließ seinen Verteidigungsminister al-Bargahti, nachdem UN-Sonderbeauftragter Martin Kobler, der die Einheitsregierung eingefädelt hatte, das Massaker scharf verurteilte.

Ein Soldat aus Murzuk berichtete der taz, dass die in Brak Shati stationierten Einheiten aus vielen Stämmen und ethnischen Minderheiten stammten und sich auf die zwischen Misrata und den Stämmen ausgehandelten Waffenruhe verlassen hatten. „Die Täter waren Extremisten, darunter viele Söldner aus den Nachbarländern“, so der Soldat. „Sie brachten auch diejenigen, die sich ergeben hatten, mit Schüssen aus nächster Nähe oder mit Messern um.“

Unter den Tätern waren Söldner aus Nachbarländern

Ein libyscher Soldat

Der kurzfristige militärische Sieg der Misratis könnte sich langfristig als verheerend erweisen. Die EU und vor allem Italien setzen auf sie zur Sicherung der Einheitsregierung in Tripolis und im Kampf gegen den „Islamischen Staat“, bei dem in Sirte mehr als 800 junge Misratis starben. Aber ihr Handeln kostet sie letzte Sympathien in Tripolis.

Kurz vor Beginn des Fastenmonats Ramadan am Ende dieser Woche schwinden damit die Hoffnungen der EU, die Gemeinden entlang der libyschen Afrika-Migrationsroute zu stabilisieren. Aktivisten aus Sebha hatten schon lange davor gewarnt, das Machtvakuum in der libyschen Sahara würde von Islamisten genutzt, um die ganze Sahararegion wie 2012 in Mali ins Chaos zu stürzen – „eine Art Darfur- oder Südsudan-Szenario, in dem Islamisten, Toubou, Tuareg oder Waffen- und Menschenschmuggler das Versagen der Regierungen ausnutzen“, wie es ein Beobachter sagt.

Aber auch die ostlibysche Armee Hafters, die von Russland und Ägypten unterstützt wird, gerät nun zunehmend in die Kritik. Sie symbolisierte für viele in Südlibyen lange die einzige Alternative gegen das Chaos. Aber wie konnten die Generäle direkt nach dem pompösen Truppenaufmarsch ihre frischen Rekruten in Brak Shati naiv in die Arme der Islamisten schicken? „Das ist unverzeihlich“, meint ein Aktivist aus Sebha.

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7 Kommentare

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  • Man sollte die Verantworlichen für das libysche Chaos benennen:

     

    "Nachdem die Vereinten Nationen in der Resolution 1973 die internationale Gemeinschaft zu militärischen Maßnahmen zum Schutz von Zivilisten in Libyen ermächtigten, begannen die USA, Großbritannien und Frankreich am 19. März 2011 mit einer Luft- und Seeblockade sowie Luftangriffen auf Regierungstruppen und Militäreinrichtungen."

     

    Die UN, GB, Frankreich und USA - Obama und Konsorten, verantwortlich für über 50.000 Tote.

     

    Was treibt der Kerl auf dem Kirchentag?

  • Kämpfe in Syrien und Libyen und bald in Europa?

     

    Auch die europäische Ausbreitung des “Extremismus“ ist unvermeidlich.

     

    Die Gegner jeder Kriegspartei sind stets “Extremisten“. Gibt es in der militärischen Auseinandersetzung keinen weiteren Erfolg, so werden sich auch die jeweiligen -noch heutigen- Kriegsteilnehmer und “Extremisten“ auf den Weg nach Europa machen.

     

    Trotz Internet- und Smartphone-Information, erst angesichts der Differenz zwischen ihrer Herkunfts- und Armutsgesellschaft und dem Wohlstand und Reichtum in den europäischen Wirtschaftsmetropolen, werden sie sich ihrer weltwirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit, ihrer Herkunft zunehmend bewusst. Auch aufgrund der fehlenden sozialpolitischen Bindung in (bürgerlichen oder sozialistischen) Parteien und Gewerkschaften, werden sie sich zum Teil -auf der Grundlage ihrer militärischen Vorkenntnisse- auch dann erst in Europa terroristisch aktivieren bzw. einspannen lassen.

     

    Es bedürfte einer breiten Aufklärungspolitik über die ökonomischen und sozialen Ursachen, der inneren und äußeren Entwicklungsdifferenz, zwischen den imperialistischen Wirtschaftsmetropolen und den sozioökonomischen Schwellen- und Entwicklungsländern. Diese Aufgabe der Aufklärung müssten alle (bürgerlichen) Parteien, Gewerkschaften, Bildungseinrichtungen und Sozialverbände leisten. Diese ökonomische und sozialpolitische Aufklärungsarbeit müsste in den westlichen Aufnahmeländern, aber auch in den Armuts- und Herkunftsregionen erfolgen.

     

    Allerdings fehlt es hierfür in den Wohlstands- und Reichtumsmetropolen an einer breiten Bereitschaft, ebensowenig, wie in den feudal-kapitalistischen Monarchien und Reichtumsmetropolen der kulturell-traditionellen und patriarchalisch-islamischen Welt. Es fehlt hier ein gesellschaftlicher Umbruch durch nachholende [frühbürgerliche] Aufklärung und bürgerliche Emanzipation.

     

    Was bleibt für Europa, das sind sozialpolitische Unruhen und ein terroristischer Extremismus, hier wie dort.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      Das ist alles gut und schön, aber erst das Fressen und dann die Moral. Im Klartext: Agrardumping verbieten zum Schutze der afrikanischen Landwirschaf, umfangreich Programme unterstützen, wie das der Elektrifizierung des ganzen Kontinents durch erneuerbare Energien, eine Initiative, die von dem ehemahligen französischen Umweltminister Jean-Louis Borloo ins Leben gerufen wurde. Das sind schon einmal zwei Grundvorraussetzungen für Autonomie in der Ernährung und eine grossangelegte Industrialisierung des schawarzen Kontinents.

  • wiekonnte es soweit kommen, ich habe inlybien gearbeitet, es gab nicht alles, aber es war ein friedliches land, was ist nur passiert, dass es zu desem chaos kommen konnte

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Georg Schmidt:

      Keine Libyen-Nachrichten mehr gehört seit dem Gaddafi-Sturz?

  • Libyen - relativ sicher!

    Mehr könnte verunsichern.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Alles ist relativ.

       

      Klar, spätestens seit Einstein.