KANDIDAT STOIBER PUNKTET NICHT NUR BEI DEN SUDETENDEUTSCHEN: Steilvorlage aus Prag
Edmund Stoiber ist da, wo ihn die Bundesregierung immer schon haben wollte – in der rechten Ecke. Mit seinem Auftritt auf dem Sudetendeutschen Tag in Nürnberg hat der Kanzlerkandidat der Union den verzweifelten Wahlkampfstrategen von Rot-Grün endlich Munition geliefert. Stoiber poltert – SPD und Grüne können zurückpoltern. Indem der Bayer den EU-Beitritt der Tschechischen Republik in Frage stelle, schädige er deutsche Interessen, warf ihm Außenminister Joschka Fischer vor. „Wir können es uns nicht erlauben, dass hier mit der Geschichte Wahlkampf gemacht wird.“ Genau da aber liegt das Problem: Der Diplomat Fischer muss sich zurückhalten. Der Kandidat Stoiber dagegen kann es sich erlauben, mit üblen, antitschechischen Ressentiments zu spielen. Es wird ihm wahrscheinlich sogar Stimmen bringen.
Über fünfzig Jahre nach dem Krieg wächst das Verständnis für die Forderung der Sudetendeutschen, die unsäglichen Beneš-Dekrete aufzuheben, mit denen ihre Vertreibung ermöglicht und Verbrechen gegen Deutsche für straffrei erklärt wurden. Die Empörung über die sture Haltung der tschechischen Regierung wird immer größer. Vertrackterweise für Rot-Grün tragen dazu sozialdemokratische Politiker wie der tschechische Vizepremier Vladimír Špidla bei, der die Sudetendeutschen kurz vor ihrem Treffen erneut als „fünfte Kolonne Hitlers“ beschimpfte. Angesichts solcher Sprüche erscheint es vielen nur normal, dass Stoiber die Sudetendeutschen in Schutz nimmt – und den EU-Beitritt Prags in Frage stellt. Da können die Beamten in Brüssel noch so oft betonen, die Aufarbeitung der Geschichte sei ein bilaterales Problem, das mit der Erweiterung nichts zu tun hat.
Wenn es der Bundesregierung nicht gelingt, die Kollegen in Prag zur Mäßigung zu bewegen, wird der Unionskandidat weiter punkten. Dass er sich dabei in die Nähe von Revanchisten begibt, die den Tschechen unterschwellig mangelnden Fleiß vorwerfen – wie der Sudetendeutschen-Sprecher Johann Böhm am Sonntag – wird nur empfindliche Geister stören, die Stoiber schon immer für einen rechten Sack gehalten haben. LUKAS WALLRAFF
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