Justizvollzug Berlin: In der Zelle allein gelassen
Vor einem Jahr starb ein Algerier bei einem Brand in Untersuchungshaft. Linke Gruppen rufen am Freitag zu einem Gedenkmarsch auf.
Initiiert wird die Gedenk- und Protestaktion von der anarchistischen Gruppe Criminals for Freedom (CfF). Sie setzt sich für eine Gesellschaft ohne Gefängnisse ein. Aufgerufen wird zu einer lautstarken Demonstration – vor allem vor der JVA Moabit. Den dort Einsitzenden wolle man vermitteln, dass es draußen Menschen gebe, die sie nicht vergessen haben, sagt eine Frau aus dem Vorbereitungskreis der Demonstration in einem Interview mit dem Freien Radio T aus Chemnitz (https://www.freie-radios.net/104495). Die Aktivistin sieht einen rassistischen Hintergrund schon bei der Inhaftierung. Ferhat M. wäre nicht wegen Diebstahlverdacht in Untersuchungshaft gekommen, wenn er deutscher Staatsbürger gewesen wäre, sagte sie in dem Radio-Interview.
Der Tod von Ferhat M. hatte seinerzeit auch in der algerischen Community für Aufregung gesorgt. Der deutsch-algerische Kulturverein hatte sich eingeschaltet, nachdem auch durch Recherchen der taz bekannt geworden war, dass M. drei Tage vor seinen Tod bei einem Haftprüfungstermin um die Einweisung in ein Haftkrankenhaus gebeten habe. Er klagte über schwere Depressionen und zeigte Schnittwunden, die er sich selber zugefügt hatte.
Obwohl die verantwortliche Richterin die Bitte des Gefangenen ins Protokoll und das sogenannte Haftblatt des Gefangenen schrieb, wurde M. in seine Zelle zurückgebracht. Die Gruppe Criminals For Freedom hatte seinerzeit Auszüge aus Ohrenzeugenprotokollen von Gefangenen veröffentlicht.
Tür verbarrikadiert
Die Senatsverwaltung für Justiz erklärte seinerzeit, der Gefangene habe das Feuer in Suizidabsichten gelegt. Der Türbereich sei von innen verbarrikadiert gewesen. Das lasse vermuten, dass der Mann nicht gerettet werden wollte.
„Sie haben ihn in seiner Zelle alleingelassen, obwohl bekannt war, dass es ihm nicht gut ging“, sagte Ferhats Bruder Dahmane M. dagegen zur taz. Der Bruder hatte in Erfahrung gebracht, dass sich an Ferhats Zellentür zeitweise ein roter Punkt befunden hatte. Roter Punkt steht für Beobachtung – etwa wegen Entzugsproblemen oder Suizidalität.
Die Antirassistische Initiative Berlin (ARI) hat den Todesfall in ihrer kürzlich erschienenen, jährlich aktualisierten Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ ausführlich dokumentiert. Die aktuelle Dokumentation dreht sich um versuchte und vollendete Suizide und Selbstverletzungen von Geflüchteten. „Es ist oft die Verzweiflung über eine zerstörte Lebensperspektive, die die Menschen als letzten Ausweg zur Selbsttötung treibt“, sagt Elke Schmitt vom ARI-Dokumentationsteam.
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