Justizskandal: „Alles wird vertuscht“
■ Knackis schrieben an Scherf
Die zahlreichen Hilferufe der Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen verhallten ungehört. Immer wieder versuchten sich die Häftlinge mit Briefen, Anzeigen und Berichten Gehör zu verschaffen – ohne Erfolg. Ihre Briefe wurden zu den Akten gelegt, eine Strafanzeige und ein Bericht fanden aus bislang ungeklärten Gründen nicht den Weg aus dem Oslebshausener Gefängnis. Die Chronik eines Justizskandals:
November 1995: Zwei Sexualstraftäter wenden sich in einem verzweifelten Brief an den Justizsenator. „Betr.: Mißhandlungen und Psychoterror von und an Gefangenen in der JVA Oslebshausen, egal welches Haus in der Anstalt. Unsereins leidet doppelt und dreifach. Herr G. wurde schon mehrmals zusammengeschlagen wegen seiner Sache, und mir ergeht es nicht anders. Auch wurde bei Herrn G. schon ein Galgenstrick an die Zellentür gehängt, und später lag dieser Strick in seiner Zelle auf dem Bett. Auch Zettel werden von außen an die Zellentür geheftet, und keiner hat es getan, noch hat es jemand gesehen. Alles wird vertuscht, als wäre nie etwas geschehen. Einmal hing ein Briefumschlag über dem Schloß an meiner Tür, das hat der Beamte angeblich nicht gesehen, habe es auch gemeldet. Aber die Sachen hören nicht auf, es wird sogar vermehrt so etwas getan. Auch die ständigen Drohungen hören nicht auf. Darum ist es auch nicht verwunderlich, wenn sich die Gefangenen in der Zelle erhängen, es ist ja schon oft genug hier passiert. Und wenn man sich noch beschwert, leidet man noch mehr.“Der Brief wird zu den Akten gelegt.
Im April 1996 schreibt einer der Häftlinge an eine Richterin: „Es ist richtig, Gefangene mit einem Sexualdelikt, insbesondere Untersuchungs- und Strafgefangene, sind durch Mitgefangene, aber auch zum Teil durch das Dienstwachpersonal erheblichen Gefahren ausgesetzt.“Der Brief geht an den Justizsenator und an die Staatsanwaltschaft. Nach Absprache mit dem Anwalt des Häftlings werde „nichts unternommen“, schreibt ein Staatsanwalt in die Akte. Um die Sexualstraftäter vor den Übergriffen ihrer Mithäftlinge zu schützen, werden die Sicherheitsvorkehrungen beim Gang zur Dusche verschärft.
Im Frühjahr 1996 diskutiert der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Arendt Hindricksen in Oslebshausen mit ausländischen Gefangenen über die Haftbedingungen. Die Insassen, darunter auch Hakki B. und Mehmet B., die mittlerweile als Hauptbelastungszeugen gegen JVA-Beamte gelten, beklagen sich darüber, daß sie von Beamten geschlagen worden seien. Hindricksen glaubt nicht, „daß deutsche Beamte so etwas tun könnten“, fordert die Häftlinge aber auf, einen Bericht zu schreiben. Er informiert Justiz-Staatsrat Michael Göbel. Auch Göbel will einen schriftlichen Bericht. Viermal mahnt Hindricksen den Bericht an. Später stellt sich heraus, daß die Gefangenen ihre Erlebnisse tatsächlich aufgeschrieben haben. Der Bericht ist verschwunden. Hakki B. zeigt Beamte wegen Körperverletzung an – die Anzeige geht nie bei der Staatsanwaltschaft ein.
Im November 1996, ein Jahr, nachdem die beiden Sexualstraftäter an den Justizsenator geschrieben haben, werden vier Sexualstraftäter in Oslebshausen von Mithäftlingen in der Dusche fast zu Tode geprügelt – offenbar unter Mithilfe einer Beamtin.
April 1997: Die Kripo untersucht die Übergriffe von Beamten der JVA auf Häftlinge. Ergebnis: „Eine Art von Folter“. Die Hauptbelastungszeugen Hakki B. und Mehmet B. verschwinden kurz nach Bekanntwerden des Berichtes: Mehmet B. kommt von einem Freigang nicht zurück. Hakki B. flieht bei einem Ausgang – während der Beamte, der auf ihn aufpassen sollte, seine Notdurft verrichtet. Warum er Hakki B. – wie es die Dienstvorschrift vorsieht – nicht ankettet, wird nicht geklärt. „Die Spekulation, daß die Flucht den Beamten nicht ungelegen kommt, ist berechtigt“, räumt Justiz-Staatsrat Göbel ein. „Der Staatsanwaltschaft reicht das für einen Anfangsverdacht aber nicht.“ Kerstin Schneider
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