Justiz in der Ukraine: Timoschenko ins Krankenhaus verlegt
Die ehemalige ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko ist in ein Krankenhaus verlegt worden. Dort soll sie von dem deutschen Arzt Lutz Harms behandelt werden.
MOSKAU taz | Mittwochfrüh ist die ukrainische Ex-Regierungschefin, Julia Timoschenko, aus dem Gefängnis in das Zentralkrankenhaus Nummer 5 in Charkow verlegt worden. Nach Angaben ihres Anwalts, Sergej Wlasenko, willigte Timoschenko nur unter der Bedingung ein, dass sie dort auch von dem deutschen Arzt Lutz Harms aus der Berliner Charité behandelt werde. Der Transport fand in den frühen Morgenstunden statt. Das Territorium des Krankenhauses war vorher von der Miliz abgeriegelt worden.
Die 51-Jährige befindet sich bereits seit dem 20. April aus Protest gegen brutale Behandlung in Gefängnis und Krankenhaus im Hungerstreik. Aus Misstrauen gegen die dem ukrainischen Gesundheitswesen unterstehenden Mediziner weigerte sie sich, sich von dortigen Ärzten weiter untersuchen zu lassen. Sie bestand auf einer Behandlung durch den deutschen Arzt. Der Neurologe hatte Timoschenko schon einmal im April untersucht und einen Bandscheibenvorfall diagnostiziert.
Angebote der Bundesregierung, die Inhaftierte in Berlin untersuchen zu lassen, lehnte die Regierung in Kiew aus rechtlichen Gründen ab. Seit Montag hält sich Lutz Harms in der Ukraine auf. Offensichtlich bewog dies Timoschenko, einer Verlegung zuzustimmen. Nach Angaben ihrer Tochter Jewgenija Timoschenko kann mit der Therapie aber erst frühestens in 10 Tagen begonnen werden. Zunächst müssen die Folgen des Hungerstreiks behandelt werden.
Angeblich hat sich der Zustand Timoschenkos deutlich verschlechtert. Sie befände sich kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, habe zehn Kilogramm abgenommen, die Körpertemperatur sei gefallen, sagte Jewgenija Timoschenko. Sollte die Therapie nicht demnächst beginnen, könne dies zur Invalidität führen, zitierte sie Harms.
Julia Timoschenko war im Oktober 2011 wegen Überschreitungen ihrer Vollmachten zu sieben Jahren Haftstrafe verurteilt worden. Anlass war die Unterzeichnung eines Vertrages im Oktober 2009 über Gaslieferungen mit Russland, der von der Ukraine erheblich höhere Gaskosten verlangt als von europäischen Abnehmern. Im April wurde ein weiterer Prozess gegen Timoschenko eröffnet, die in der damaligen Regierung den Ruf genoss, „der einzige Mann im Kabinett“ zu sein. Diesmal geht es um finanzielle Machenschaften im „Vereinigten Energiesystem der Ukraine“ während der 1990er Jahre.
Unterdessen sagte die ukrainische Regierung den in Jalta geplanten Gipfel ostmitteleuropäischer Staaten ab. Der Vorsitzende der Eurokommission José Manuel Barroso teilte mit, dass er unter diesen Umständen nicht in die Ukraine reisen werde. Auch die Staatschefs einiger anderer Länder schlossen sich dem Boykott an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“