Junger Geflüchteter wird nicht betreut: Wer sich beklagt, wird nicht beraten
Ein junger Flüchtling wurde in Bremen aus dem Jugendhilfesystem geworfen. Zuvor hatte er sich über schlechte Betreuung beschwert.
Doch die wird ihm abrupt entzogen: „Die bisher geleistete Jugendhilfe wird mit Wirkung vom 28. 02. 2019 eingestellt“, wird Karim kurzfristig in einem Schreiben vom 14. Februar mitgeteilt. Unter „Begründung“ fasst das Amt sich kurz: „Die Jugendhilfemaßnahme wurde zum 28. 02. 2019 beendet“, heißt es da. Dabei hatte der neue Bewilligungszeitraum für Karim erst am 1. Februar begonnen und sollte noch bis Ende Juli laufen.
Später wird man genauer: Karim habe mit seinem Betreuer nicht gut zusammengearbeitet – ohnehin könne er die Ziele aus dem Hilfeplan „mittlerweile eigenständig umsetzen“. Karim versteht das nicht. „Ich sollte noch bis Juli beim Jugendamt sein“, sagt er. „Warum plötzlich nicht mehr? Weil ich mich beschwert habe?“
So wie er die Geschichte darstellt, kann nicht die Rede davon sein, dass er nicht mitgearbeitet hat, im Gegenteil: Anfang Februar war sein Betreuer zum wiederholten Male nicht zu einem Termin erschienen. Karim meldet den Fall bei seiner Case-Managerin – und wird zum Hilfeplangespräch geladen. Zu seiner Überraschung geht es dort um die Beendigung der Jugendhilfe: Es gibt eine Broschüre „Goodbye Jugendhilfe“ und die Ankündigung, dass seine neu bewilligte Betreuung in zwei Wochen beendet werde.
Karim ist kein Einzelfall
Wie sich K. in dem Betrieb machte, in dem er Anfang des Jahres zum Probearbeiten war? Laut Karim keine Frage dazu. Was er in Zukunft beruflich plane? Ebenfalls keine Frage. Dass er nicht weiß, wie er ohne Jugendhilfe seine nächste Miete zahlen soll? Vorerst kein Thema. Für Karim ist klar: „Ich darf mich nicht beschweren. Die Leute benutzen persönliche Sachen, wenn sie entscheiden: Wer bleibt da, wer geht raus?“
Ein Einzelfall ist Karim nicht. „Es gibt nicht so furchtbar wenige Fälle, bei denen die Betreuung holterdiepolter enden soll“, so der Bremer Migrationsanwalt Anatol Anuschewski, der auch Karim vertritt. Die Sozialbehörde dagegen glaubt an ihr Hilfesystem. „Junge Erwachsene, die von der Jugendhilfe betreut werden, haben immer die Möglichkeit, sich an ihren Fallmanager zu wenden, auch wenn sie Probleme mit einem Betreuer haben sollten“, heißt es von dort.
Für Anuschewski ist das keine Lösung auf Augenhöhe. Schließlich arbeite ein Case-Manager oft seit Jahren mit den Trägern zusammen. „Wenn da vom Jugendlichen und vom Träger eine Beschwerde kommt, ist einfach die Frage: Wer ist sich näher?“
Immerhin: Während sein Verfahren vor der Widerspruchsstelle läuft, ist das Jugendamt verpflichtet, die Geldleistungen weiter zu überweisen; eine Betreuung findet aber nicht mehr statt. Anwalt Anuschewski ist sicher, dass die Beendigung der Jugendhilfe im Februar „rechtlich erheblich mangelhaft“ war.
Doch um eine Entscheidung der Widerspruchsstelle in dieser Sache kommt die Behörde herum: Kurz vor Ende des ursprünglichen Bewilligungszeitraums hebt das Jugendamt seinen Bescheid auf – Karims Widerspruch gilt damit nur noch für die wenigen Monate bis zu seinem 21. Geburtstag.
Betreuung war zuvor schon mangelhaft
Karims Frust sitzt tief. „Gerechtigkeit gibt es nur für manche in Deutschland“, sagt er. Schon vor dem frühzeitigen Ende sei er mangelhaft betreut worden. Dass die Betreuer tatsächlich die 7,5 Stunden wöchentlich für ihn gearbeitet haben, die sie vom Jugendamt bezahlt wurden, kann er sich nicht vorstellen: Seinen Betreuer hat er nur alle drei Monate gesehen. Als er im Februar aus dem Jugendhilfesystem ausgeschlossen wird, ist sein Jugendhilfeplan schon ein halbes Jahr abgelaufen.
Wie das Jugendamt die Arbeit der freien Träger evaluiert, diese Antwort bleibt die Sozialbehörde zum Teil schuldig. Entscheidungen würden im Team gefällt, heißt es auf Nachfrage. Doch ob auch eine unabhängige Kontrolle der freien Träger stattfindet, wird nicht mitgeteilt. Für Karim ist die Jugendamtsphase nun ohnehin vorbei – vergangene Woche ist er 21 Jahre alt geworden. „Es geht auch nicht mehr um mich“, sagt der junge Mann. „Ich bin frei. Es geht um viele Jungs, die Nachteile haben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren