Junge Flüchtlinge sollen in Zelte: Durchs Raster gefallen
Weil sie beim Amt nicht mehr als jugendlich gelten, aber auch keine AsylbewerberInnen sind, wurden mehrere Flüchtlinge obdachlos.
![](https://taz.de/picture/923544/14/N4_HB_aufm.jpeg)
BREMEN taz | Pascal S. ist aus Guinea nach Bremen geflohen, seit neun Monaten lebt er hier, zuerst monatelang im Zelt, später im Hotel. Er kam als unbegleiteter Minderjähriger, geht in die Schule, lernt Deutsch, hat einen Antrag auf Duldung gestellt. Das wird ihm jetzt zum Verhängnis: Er wurde mittel- und obdachlos.
Kurz vor Weihnachten nämlich kam die umstrittene Altersschätzung der Behörde zu dem Ergebnis: Pascal S. ist schon 18. „Also muss ihn die Jugendhilfe vor die Tür setzen“, sagt der Sprecher der Sozialbehörde, „so bitter das ist.“ Das hat sie auch sofort gemacht – und S. an die Zentrale Erstaufnahme für AsylbewerberInnen, Zast genannt, verwiesen. Die wiederum nahm ihn gar nicht auf – weil er keinen Asylantrag gestellt hat. Also musste S. die Nacht am Bahnhof verbringen, da ist es wenigstens nicht ganz so kalt. Für ihn sei das „ein Schock“ gewesen, sagt S. Mittlerweile ist er privat untergebracht.
S. hat einen „Anspruch auf Duldung“, sagt seine Rechtsanwältin Eva Dworschak. Da er aus Guinea kommt, ist ein Asylantrag aber „aussichtslos“, sagt die Flüchtlingsaktivistin Sophia Leonidakis, die auch für Die Linke in der Bürgerschaft sitzt. Würde Pascal S. ihn doch stellen und als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, hätte das „negative Auswirkungen“ für ihn, erklärt Leonidakis – seine Aussichten, hier bleiben zu dürfen, wären dann deutlich schlechter.
Rund 25 Betroffene in Bremen vertritt alleine Anwältin Dworschak – sie alle wurden aus dem System der Jugendhilfe „ausgesteuert“, wie das im Amtsdeutsch heißt, aber von der Zast abgewiesen. „Die Verweigerung einer Unterkunft kommt der Nötigung zur Asylantragstellung nahe“, heißt einem Antrag der Linkspartei für die am Donnerstag tagende Sozialdeputation. Die Linkspartei verlangt, dass keine jungen Menschen „ausgesteuert“ werden, ohne dass ihre weitere Unterbringung gesichert ist. Zudem müsse das Sozialressort auch für nachträglich als volljährig eingestufte Flüchtlinge „geeignete Unterkunftsmöglichkeiten zur Verfügung stellen“. Die Behörde sagt: „Wir lassen keinen hängen.“ Einige Flüchtlinge entzögen sich aber der Mitwirkung.
Dworschak hat in mehreren Fällen einen Eilbeschluss beim Sozialgericht erwirkt. Mit dem Hinweis auf das „verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum“ wurde das Sozialressort mit einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, eine vorläufige Unterkunft und eine „Sicherung des Lebensunterhaltes“ zu bezahlen. Das sind aber nur 300 Euro im Monat, sagt Leonidakis, sowie ein Bett in einer Obdachlosenunterkunft. Die Flüchtlinge könnten dort nicht kochen, bekämen kein Bahnticket, um damit zur Schule zu fahren, und kein Geld für Winterschuhe oder -klamotten. „Es ist ein Skandal, dass Obdachlosigkeit“ nur durch ein Sozialgericht verhindert werden könne, sagt Leonidakis, und „unfassbar“, wenn derlei Präzedenzbeschlüsse nicht automatisch auf andere Flüchtlinge übertragen würden. Für die Betroffenen sei das eine „immense psychische Belastung“, so Sylvia Pfeifer vom Verein Fluchtraum, der Vormünder und MentorInnen für unbegleitete Flüchtlinge vermittelt.
Dworschaks MandantInnen wurden alle privat untergebracht, mehrere von ihnen seien von der Behörde „regelrecht schikaniert“ worden, sagt die Anwältin. Manche hätten trotz Duldung keine Leistungen erhalten. Auch sie selbst sei „schweren Anfeindungen“ seitens der Behörde ausgesetzt gewesen, sagt Dworschak.
Das Sozialressort bestätigte, dass es seit der jüngsten Verschärfung des Asylrechts „eine Reihe von Fällen“ gegeben habe – und kündigte an, die Betroffenen nun „vorläufig“ in Zelten unterzubringen. Die Behörde habe bereits im Dezember eine Lösung zugesagt, entgegnet Leonidakis – „aber es kommt immer noch vor, dass junge Flüchtlinge obdachlos werden“.
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