Junge Abgeordnete und Medien: Naiv im Mittelpunkt

Politiker der jüngeren Generation müssen erst lernen, mit dem Rummel um ihre Person umzugehen. Drei Neulinge ziehen Bilanz.

Bloß nichts Falsches sagen. Bild: imago/IQ Images

Früher dachte Katharina Dröge: Du bist Volksvertreterin, du musst auf alle Fragen eine Antwort geben. Das sei schließlich „die Aufgabe eines Abgeordneten“. Doch inzwischen lehnt die 29-Jährige, die seit bald einem Jahr für die Grünen im Bundestag sitzt, Anfragen von Journalisten „auch mal ab“ – immer dann, wenn sie „kein gutes Gefühl dabei“ habe.

Dröge sitzt am Kölner Ebertplatz in ihrem Wahlkreisbüro und erinnert sich: Ein Fernsehmagazin hat sich mit der Reform der Rente beschäftigt. Die Frage war, ob die aktuellen Pläne der Großen Koalition besonders schlecht für die junge Generation seien. „Das wollte ich so aber gar nicht sagen, weil es mir eher um die Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich geht, nicht zwischen Jung und Alt“, erzählt Dröge. Der Journalist habe sie aber „immer und immer wieder“ gefragt, bis sie mal einen Satz gesagt habe nach dem Motto „Ja, aber …“. Im Beitrag sei ihre Einschränkung dann einfach rausgeflogen.

„Es ging ihm nur um diesen einen Satz. Dass ich ihm vorher 25 Minuten etwas völlig anderes erzählt habe, hat ihn nicht interessiert“, sagt die Politikerin aus dem Rheinland heute.

Treffen Journalisten und Politiker aufeinander, dann dauern Interviews schon mal eine halbe, vielleicht sogar eine ganze Stunde. In Zeitungen und vor allem auf den Sendern tauchen dann nur ein paar wenige Sätze auf. Wer wie Neulinge im Bundestag das erste Mal die große Bühne der Öffentlichkeit betritt, der muss sich daran erst gewöhnen.

Regierung und Opposition debattieren über ein neues Prostitutionsgesetz. In der taz.am wochenende vom 6./7. September 2014 streiten ein Streetworker, ein Freier und eine Prostituierte. Außerdem: Unsere Autorin hat eine Woche in einem Dorf in Mittelhessen verbracht. Ein reales Theaterstück. Und: Wie der Fotograf Kieran Dodds den Stolz rothaariger Schotten entdeckte. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

„Natürlich wird verkürzt und zugespitzt, aber so ist das Geschäft: Medien müssen die Sache auf den Punkt bringen“, sagt Dröge. Dass Aufwand und Ertrag beim Kontakt mit den Medien nicht immer ausgewogen sind, finde sie deshalb auch „meistens völlig in Ordnung“. Sie müsse zwar viel Zeit investieren, bekomme dafür aber Präsenz zurück. Was sie stört: Wenn sie nur noch eine These bestätigen soll, die „der Journalist auf seinem Zettel“ hat.

Aufeinander angewiesen

So sehr sich Politiker über einzelne Journalisten aufregen mögen: Natürlich können sie nicht ohne sie. „Mir ist schon daran gelegen, ein gutes Verhältnis zu Journalisten aufzubauen und sie mit Informationen zu versorgen“, sagt Christina Kampmann, 34-jährige Sozialdemokratin aus Bielefeld. „Anders erfährt der Bürger ja nicht, was wir hier machen.“

An den Hauptstadtjournalismus musste aber auch sie sich erst mal gewöhnen. „In der Region hatte ich immer wieder mit denselben Leuten zu tun, da begegnet man sich ständig auf den Terminen, vor allem im Wahlkampf“, sagt Kampmann. In Berlin aber habe sie sich erst neue Kontakte aufbauen müssen, „und das sehr schnell“.

Ansonsten habe sich gar nicht so viel geändert. Klar, bundesweite Medien hätten eine stärkere Wirkung. Sie habe aber schon in der Kommunalpolitik ihre Worte abgewogen. „Ich bin ja mit dem Internet aufgewachsen“, sagt die Politikerin, die sich schon im Studium mit dem immer prominenteren Feld „Datenschutz“ beschäftigt hat. „Das Netz vergisst nicht. Wer weiß schon, in welchem Kontext eine Äußerung wieder auftaucht?“

Kampmann ist stellvertretende Sprecherin der Youngsters, der Gruppe der jüngsten SPD-Abgeordneten, die sich derzeit etwa kritisch über das Freihandelsabkommen TTIP äußert. Pressearbeit gehört für Kampmann deshalb längst zum Alltag. Und trotzdem will sie besser verstehen, wie der Journalismus funktioniert: „Ich habe vor, für einen Tag als Praktikantin in einer Redaktion zu arbeiten.“

Von Redakeuren lernen

Was sie dort wohl lernen wird? Vielleicht, wie Redaktionen entscheiden, welche Themen sie aufgreifen und welche nicht. Während sich Kampmann häufig mit populären Themen beschäftigt, steckt für Julia Verlinden, Grüne aus Lüneburg, der Teufel häufig im Detail. Verlinden, 35, ist energiepolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Die Energiewende läuft zwar hoch und runter, aber „wenn ich die vielen Berichte sehe, denke ich häufig: da fehlt etwas Wichtiges“.

Als Umweltwissenschaftlerin kennt sich Verlinden aus und findet es „unbefriedigend“, dass es „bestimmte Aspekte gar nicht in die Medien schaffen“. Ihr Eindruck: Die Energiewende sei auf erneuerbare Energien und die Strompreise fokussiert. Die Diskussion über die Energieeffizienz sei zwar „für das Gelingen der Energiewende extrem wichtig“, komme aber praktisch nicht vor. „Vielleicht, weil niemand dagegen ist?“

Was junge Abgeordnete eint: Sie ächzen in ihrer neuen Rolle unter dem Zeitdruck, unter den Journalisten sie häufig setzen. In der Hoffnung auf eine Exklusivmeldung verlangen sie schnelle Statements der Politiker. „Wenn die Bundesregierung mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit geht, dann rufen schon nach wenigen Minuten Journalisten an und fragen, was wir davon halten“, sagt Energieexpertin Verlinden.

Vor allem sie als Wissenschaftlerin wolle sich einen Gesetzentwurf erst mal gründlich ansehen und mit anderen Experten diskutieren. „Als Politikerin muss man sich aber sehr schnell positionieren“, sagt sie. „Da bleibt manchmal nur der Ausweg, den Text zu überfliegen und zumindest nachzusehen, ob das drin steckt, was mir total wichtig ist.“

Wie sie sich im Kontakt mit Journalisten am besten verhalten, das trainieren Politiker natürlich. In sogenannten Medientrainings üben sie in Rollenspielen, wie sie souverän reagieren und Fallstricken aus dem Weg gehen. Etwa dies: Überfällt dich ein Journalist und sagt: ,Haben Sie schon gehört, dies und das ist passiert – wie stehen Sie dazu?!’“

Mut zu warten

Das Ziel des Reporters ist klar: ein politischer Schnellschuss, eine möglichst emotionale Reaktion. „Das kann eine blöde Situation sein“, sagt Verlinden. Da müsse ein Politiker den Mut aufbringen, sich vorerst nicht zu äußern.

„Es mag ja auch sein, dass der Journalist nur in Teilen wiedergibt, was tatsächlich passiert ist, um eine größere Empörung einzufangen und die Geschichte spannender zu machen als sie wirklich ist.“

Mindestens genauso wichtig ist für junge Politiker aber auch, im Gespräch zu bleiben. Ein Segen für die Politik ist dafür das Internet. Auf ihren eigenen Seiten, Blogs und Profilen in sozialen Netzwerken können sie stattfinden, wann sie wollen. „Mich beruhigt es, eigene Plattformen zu haben, auf denen ich meine Themen und meine Sicht auf die Dinge ungefiltert platzieren kann“, erzählt SPD-Politikerin Kampmann, die für ihren neuen Lebensabschnitt ein frisches Profil bei Facebook aufgesetzt hat. „Dadurch sind Politiker auch nicht machtlos, wenn sie mal in eine Kampagne gezogen werden sollten.“

Twitter wiederum trainiert Politiker. Grüne-Abgeordnete Verlinden, die das äußerst komplexe Thema Energiewende transportieren muss, erzählt jedenfalls: „Ich brauche manchmal länger für einen 140-Zeichen-Eintrag als für eine Pressemitteilung, weil es schwerfällt, etwas in diese wenigen Zeichen zu pressen.“

Und dann ist da noch die Sache mit der ständigen Erreichbarkeit – Politik im Zeitalter der Smartphones. „Ich habe bislang nicht den Mut, mein Handy häufiger mal ganz auszuschalten“, gesteht etwa Grünen-Politikerin Dröge. „Es ist immer das Gefühl da, dass wichtige Dinge geschehen, auf die ich reagieren muss.“ Ihre Fraktionskollegin Verlinden wiederum hat ihrem Mann einen ganzen Offline-Tag pro Monat versprochen. Immerhin.

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