Jugendproteste in Russland: Rechte revoltieren gegen den Kreml

Die jüngsten Ausschreitungen Jugendlicher richten sich nicht nur gegen Zuwanderer, sondern auch gegen die korrupte Regierung - ein Frontalangriff auf das System

Sicherheitsbeamte nehmen bei der Demo "Patriotismus, kein Faschismus" am Samstag zahlreiche Jugendliche fest. Bild: rtr

MOSKAU taz | Prügelnde Jugendliche ziehen seit einer Woche durch Moskau und machen Jagd auf kaukasische und zentralasiatische Zuwanderer. Auch am Wochenende versammelten sich wieder Rechtsradikale zu Demonstrationen. Die Miliz nahm mehr als 500 rechte Jugendliche fest. Die meisten von ihnen sollen nach offiziellen Angaben minderjährige Schüler sein.

Die Politik ist auf den spontanen Massenprotest nicht vorbereitet. Premier Wladimir Putin wirkte auch Tage nach dem Aufflammen der Proteste hilflos. In einer TV-Fragestunde begnügte er sich mit Floskeln über den russischen Vielvölkerstaat und Appellen zur Friedfertigkeit. Kremlchef Dmitri Medwedjew ordnete immerhin an, die rechtsradikalen Täter hart zu bestrafen und nicht wie sonst mit kleinen Geldbußen davonkommen zu lassen.

Russlands Elite wirkte nicht nur kopflos. Sie hinterließ den Eindruck pathologischer Wirklichkeitsverweigerung. Ihr Augenmerk galt bisher den Gegnern des Systems Putin, jenem Häuflein unermüdlich demonstrierender Liberaler und Menschenrechtler. Der Protest von rechts hat die politische Elite kalt erwischt. Bislang ging der Kreml davon aus, dass er auch in der rechten Szene auf Rückhalt bauen konnte.

Die vom Kreml finanzierte Jugendorganisation "Naschi" ("Unsrige"), die sich als patriotische russisch-nationale Vorhut der souveränen Demokratie versteht, greift häufig auf die Unterstützung der rechten Szene zurück. Schläger aus der Fußballfangemeinde werden schon mal auf Oppositionelle und Schwule angesetzt oder als Provokateure zu oppositionellen Demonstrationen geschickt. Sie sind dort willkommen, wo sich "Naschi" als kremlnahe Jugendorganisation trotz allem Zurückhaltung auferlegen muss.

Auch die Gruppe "Mestnije" ("Die Einheimischen") tat sich als kremlnahe Organisation bei Einsätzen gegen Immigranten hervor. 2007 arbeitete sie sogar mit dem Föderalen Migrationsdienst offiziell Hand in Hand. "Die Einheimischen" stellten illegale Einwanderer als Arbeitskräfte an, übergaben sie den Behörden und entrollten vor laufenden Kameras ein Transparent: "Es ist Zeit, in den Süden zu fliegen".

Doch jetzt begehrt die rechte Szene auf. Was den Kreml in Unruhe versetzen muss: Das rechte Spektrum ist hervorragend organisiert und bestens vorbereitet, den Massenprotest zu lenken und zu instrumentalisieren. Vor allem aber versagt sie der "gelenkten Demokratie" Putins die Gefolgschaft.

Nach zehn Jahren Friedhofsruhe ist der Kreml nicht nur überfordert. Sein Mantra der Stabilität ist eine Floskel von gestern. Bei alldem fordert nicht die faschistische Ideologie den Kreml heraus. Der Anlass des Aufstands rührt an den Grundfesten des Systems. Die Fußballfans waren nach dem Mord an einem Kumpel wütend, dass der aus dem Kaukasus stammende Täter zwar festgenommen, die Mittäter aber gegen Schmiergeld freigelassen worden waren: Der Zorn richtet sich gegen die korrupten Ordnungshüter. Die Korruption hat inzwischen alle staatlichen Institutionen erfasst. Der Unmut der jungen Generation speist sich auch aus dem Verlangen nach Gerechtigkeit und mehr sozialer Gleichheit.

Bei den jüngsten Ausschreitungen taten sich besonders Jugendliche hervor. Sie wurden zum Opfer einer Kremlpolitik, die außenpolitische Bedrohungsszenarien beschwor und die Welt in "wir" und "sie" einteilte. Es war auch Putin, der im Innern den Begriff der "angestammten" Bevölkerung einführte, die mehr Rechte hat als Zugezogene. Damit hob er die Rechte des "Bürgers" auf und legte eine Lunte an den Vielvölkerstaat. KLAUS-HELGE DONATH

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