Jugendknast: Parlament legt Justizskandal zu den Akten
"Die Probleme nehmen zu, nicht ab!" Wow. Wie die Opposition versucht, die Justizsenatorin vorzuführen. Und scheitert.
Jetzt aber. Jetzt muss Empörung her. Der Redner am Pult stemmt die linke Hand in die Hüfte und pickt mit der rechten Löcher in die Luft: "SIE, Frau von der Aue, SIE haben ein Bild gezeichnet, das mit der Realität nicht ganz übereinstimmt. Jetzt mal vorsichtig gesagt!" Donnerwetter. "Die Probleme nehmen zu, nicht ab!" Aber hallo. Die angesprochene Justizsenatorin lehnt entspannt im Sitz, der Regierende starrt mit leeren Augen in das Rund das Plenarsaals, in den lichten Reihen der Abgeordneten tippen viele in Laptops oder lesen den Pressespiegel.
Dabei gibt sich Dirk Behrendt echt Mühe. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen versucht mit aller Macht etwas von der Skandalstimmung in die Parlamentssitzung zu retten, die in den vergangenen Wochen durch die Stadt waberte: Dealer tanzen auf Mauern. Drogen und Handys fliegen darüber. Allein, Behrendt müht sich vergebens. Was zur Abrechnung mit der Senatorin werden sollte, gerät zur müden Show, die alle routiniert durchziehen. Muss ja.
Nur eine Neuigkeit gibt es: Die rot-rote Koalition ist plötzlich wieder in der Offensive. Das zeigt sich, als Behrendt, sonst ein gewandter Redner, ins Stottern gerät und einige "Ähs" in Folge produziert. "Für uns Grüne gibt es schlimmere Vorstellungen, als dass ein Häftling ab und zu mal einen Joint raucht oder mit seiner Mutti telefoniert. Aber man kann die Missstände doch nicht laufen lassen!" Behrendt bringt die dialektische Übung mit Anstand zu Ende, mehr ist nicht zu holen, wenn man nach jahrzehntelangem Kampf für liberalen Vollzug plötzlich Haschischpäckchen skandalisieren muss.
Diesen bemerkenswerten Schwenk reibt die rot-rote Koalition den Grünen genüsslich unter die Nase. Mit dem alten Trick, dem Prinzip "Good Cop, bad Cop." Erst gibt SPD-Mann Fritz Felgentreu Nachhilfe. Er sagt, dass es seit den 80ern Probleme mit Würfen von Drogenpäckchen gibt, dass die bauliche Planung der Justizvollzugsanstalt dies begünstige, dass doch auch die Grünen für die Ausgabe von Spritzen im Knast waren.
Dann läuft Klaus "bad Cop" Lederer (Linke) mit schnellen Schritten aufs Rednerpult zu. "Gibt es eine Schmerzgrenze für Ihre Hybris?", wettert er in Richtung Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. "Nee!", ruft der, ein Witz, natürlich. Lederer erhitzt sich, einige im Saal setzen sich erschrocken auf. "Das war schwarz-grünes Schmierentheater, was Sie hier veranstaltet haben! Sie haben Sicherheitsfanatismus angeheizt!" Gejohle in der Koalition, ein Grüner motzt sekundenlang laut vor sich hin. Lederer setzt sich und wippt vergnügt im Stuhl auf und ab.
Still wird es wieder, als die Justizsenatorin redet. Es habe Missverständnisse und Widersprüche gegeben, räumt sei ein. Sie spricht ruhig, nicht unsicher und mit belegter Stimme wie im Ausschuss. Drogen und Schlägereien zwischen Gefangenen, taugten nicht für politische Spielchen - das Ziel, die Resozialisierung von Gefangenen, dürfe nicht aus den Augen verloren werden. "Ich werde weiter arbeiten. Und ich kämpfe weiter für mehr Personal in den Gefängnissen, das weiß mein Kollege Sarrazin auch genau!" Der Finanzsenator hat in Aktenstapeln geblättert, ertappt schaut er hoch. War was? Wowereit, der zwischendurch vor Langeweile fast unter den Tisch gerutscht ist, stemmt sich hoch und schüttelt von der Aue die Hand. Nee, war nix.
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