Jürgen Trittin zum Fall Nawalny: „Vermögen einfrieren“
Grünen-Politiker Trittin fordert, Nawalnys Arbeit in Deutschland ernst zu nehmen. Immobilien korrupter russischer Politiker sollte man beschlagnahmen.
taz: Herr Trittin, wie sehr belastet der Fall Nawalny die deutsch-russischen Beziehungen?
Jürgen Trittin: Jetzt ist für jeden klar: Opposition gegen das System Putin und die korrupten Machenschaften einiger Oligarchen kann lebensgefährlich sein. Spätestens jetzt muss die Außenpolitik der Großen Koalition, die Russland als strategischen Partner betrachtet, ad acta gelegt werden. Russland bleibt unser Nachbar in Europa. Aber in einem gemeinsamen Haus kann man auch nicht wegschauen, wenn in der Nachbarwohnung permanent Gewalt gegen andere ausgeübt wird.
Und was macht man mit dem renitenten Nachbarn? Rausschmeißen?
Russland wird nicht verschwinden. Man wird mit Russland weiter kooperieren müssen. Sicherheit kann es in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben. Aber man könnte in Europa anfangen, die Arbeit von Herrn Nawalny ernst zu nehmen, das heißt seinen Kampf gegen Korruption. Auf seiner Seite gibt es ein Video über eine beeindruckende Finca in der Toscana, die Ex-Ministerpräsident Medwedjew gehören soll. Nawalny hat außerdem Berichte darüber veröffentlicht, wie der derzeitige Ministerpräsident Mischustin zu seinem Vermögen gekommen sein soll: mithilfe von Schwarzgeld, das aus Erpressung und Korruption stammt. Wenn in Europa Immobilien erworben werden mit Geld, das aus solchen Quellen stammt, müssen diese Immobilien beschlagnahmt werden. Man darf sie erst wieder freigeben, wenn nachgewiesen werden kann, dass sie mit sauberen Mitteln erworben wurden.
Sie fordern Sanktionen gegen führende Politiker:innen Russlands?
von den Grünen, ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags und der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe.
Nein. Es geht mir darum, zu unterbinden, dass diejenigen, die in Russland der Korruption, der Erpressung und der Nötigung verdächtigt werden, ihr Vermögen in Europa waschen und in legalen Besitz umwandeln können. Diese Vermögen muss man einfrieren.
Wäre jetzt der Zeitpunkt, den Unterstützer:innen Nawalnys und der zersplitterten russischen Opposition ernsthaft den Rücken zu stärken?
Das wäre der nächste Schritt. Funktionsträger des russischen Staates dürfen visumfrei nach Europa einreisen. Für Studierende, Sportmannschaften, Kirchenchöre, also die Zivilgesellschaft, herrscht dagegen Visumzwang. Ich könnte mir vorstellen, dass man das umdreht.
Russische Politiker:innen brauchen Visa, normale Bürger:innen nicht?
Wir sollten gerade die Kontakte zur Zivilgesellschaft stärken, und das heißt, man muss ihnen den Zugang in die EU erleichtern.
Die Bundesregierung fordert volle Transparenz bei der Aufklärung der Tat gegen Nawalny. Sind Sie optimistisch, dass das passiert?
Die Forderung ist richtig, die Hoffnung, dass sie erfüllt wird, teile ich nicht. Der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja ist bis heute nicht aufgeklärt. Selbst in den Fällen, wo Täter ermittelt wurden, bleiben die Hintergründe im Dunkeln.
Wieso hat Russland dann zugestimmt, dass Nawalny nach Deutschland überführt werden konnte? Erst hier ist doch aufgedeckt worden, dass er vergiftet wurde.
Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass man im Kreml Deutschland anders einschätzt als etwa die Vereinigten Staaten. Aber Deutschland muss zusammen mit der EU eine gemeinsame Antwort auf diese Tat geben.
Ein europäisches Projekt ist die Gaspipeline Nord Stream 2. Soll der Bau gestoppt werden?
Nord Stream 2 ist eine Wette gegen die europäischen Klimaziele. Die Strategie der EU-Kommission ist es aber, die Gasversorgung zu diversifizieren. Das bedeutet, neben Herrn Putin auch auf andere Autokraten als Lieferanten zu setzen – etwa Herrn Erdoğan und den Scheich von Katar. Das ist nicht klug. Stattdessen müssen wir den Energieverbrauch in Europa senken.Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Pipeline in allen europäischen Staaten genehmigt ist. Wenn man die Genehmigung widerrufen will, dann muss man Schadenersatz zahlen.
Sie sind gegen einen Baustopp aus Kostengründen?
Ich sage nur, wenn man den Bau verbietet, muss man zahlen. So ist das mit gültigen Verträgen im Rechtsstaat. Ich wundere mich, dass manche sich immer noch so aufführen wie wir Grüne vor 30 Jahren. Da glaubte man auch, man könnte Atomkraftwerke enteignen, ohne Entschädigung zu zahlen. Es ist auch wohlfeil, sich wie Manfred Weber hinzustellen und als CSU-Vize zu sagen, die Pipeline dürfe nicht mehr gebaut werden. Dann muss die CSU diese Forderung auch in den Koalitionsausschuss einbringen und die Bundesregierung entscheidet, das Projekt zu untersagen. Das sehe ich nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“