Jürgen Trittin über Berlin-Wahl: "Das Rennen wird knapp"
Fraktionschef Jürgen Trittin warnt seine Grünen: Nehmt den Piraten das Thema Bürgerbeteiligung wieder weg, sonst droht 2013 die große Koalition.
taz: Herr Trittin, was bedeutet der Aufstieg der Piraten für die Grünen?
Jürgen Trittin: Das ist strukturell das schwierigste Problem, das uns aus diesem Wahlergebnis erwächst. Zwar sprechen zurzeit die Umfragen stets für rot-grüne Mehrheiten. Doch warne ich immer: Das wird zur Bundestagswahl 2013 hin ein knappes Rennen, bei dem wir nichts zu verschenken haben - zumal die SPD von Wahl zu Wahl schwächelt. Da kommt es auf die Grünen an.
Wenn bei der Endabrechnung auch nur ein oder zwei Prozent fehlen, ermöglicht der Aufstieg einer solchen Partei wie die Piraten die große Koalition. Ich gönne den Piraten ihren Erfolg - Glückwunsch an dieser Stelle -, aber diesen zu verstehen, wird die drängendste Aufgabe der kommenden Woche.
Mit welcher Vermutung gehen Sie in die Diskussion?
Es wäre kurzsichtig zu glauben, dies seien Leute, die wir mit kluger Netzpolitik für uns gewinnen könnten. Da gehört mehr dazu.
57, ist seit 2009 Fraktionsvorsitzender der Bündnis 90/Grünen im Bundestag. Kovorsitzende ist Renate Künast, die nach dem Berliner Wahlkampf nun ihren Posten neben ihm gleichberechtigt wieder einnehmen will. Nach seiner Zeit als Umweltminister (1998 bis 2005) verlegte sich Trittin zunächst auf die Außenpolitik. Jüngst aber ließ er durchblicken, dass für einen künftigen Vizekanzler das Außenministerium kaum noch attraktiv sei, da die Außenpolitik zunehmend im Kanzleramt gemacht werde. Inzwischen interessiert sich Trittin offenbar stark für das Finanzressort.
Coolness? Stil? Sympathische Plakate?
Die Leute nehmen ihre Stimmabgabe viel zu ernst, als dass sie dabei bloß über Stilfragen entschieden. Es geht um Partizipation, um Bürgerbeteiligung, um demokratische Fragen. Hier werden wir ansetzen müssen.
Warum hat Renate Künast ihr Wahlziel nicht erreicht?
Renate hat das beste Ergebnis aller Zeiten für die Berliner Grünen geholt. Wenn sie sich nicht zu Beginn das hohe Ziel gesteckt hätte, Bürgermeisterin zu werden, wäre ein solch hervorragendes Ergebnis nicht erreicht worden. Dazu gehört auch die Marginalisierung der FDP.
Vielleicht ist es ja umgekehrt: Wären die Grünen nicht so großmäulig aufgetreten, hätten sie mehr Sympathien gewahrt.
Die Grünen sind mit dem Anspruch angetreten, die Stadt zu verändern und sie aus der rot-roten Tiefschlafphase herauszuholen. Auch dieses Ziel haben wir erreicht.
Welche Fehler wurden im Wahlkampf gemacht?
Bei einem solchen Rekordergebnis diskutiert man auch, was man noch besser machen kann. Aber das tun die Berliner Grünen, die anders als die SPD und die Linke nicht verloren haben.
War es falsch von Renate Künast, sich so spät von Grün-Schwarz abzuwenden und sich auf Rot-Grün festzulegen?
Renate und die Berliner hatten immer betont, dass eine grün-rote Mehrheit ihr erstes Ziel war. An dieser Grundausrichtung konnte es nie Zweifel geben. Als aber die CDU im Wahlkampf auf einen aggressiven antigrünen Kurs umgestiegen ist, haben wir das deutlich klargestellt.
Das ist jetzt aber etwas schlapp. Natürlich sahen die Grünen ihre Kernwähler davonlaufen, weil die grün-schwarze Möglichkeit offen blieb.
Nein, wir mussten nach den Attacken der CDU klarmachen, dass unsere guten Inhalte unter solchen Bedingungen mit solch einer CDU nicht zu verwirklichen wären.
Nun schrumpfte im Laufe des Wahlabends der rot-grüne Vorsprung bedenklich, und plötzlich fragte man sich: Warum redet keiner über Rot-Grün-Rot?
Weil es nicht nötig ist. Es sind immerhin zwei Stimmen Vorsprung. Und die Opposition, die einer rot-grünen Regierung gegenüberstünde, ist gespalten: von der Linken über Piraten bis zur CDU.
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