Jüdisches Leben: Korpsgeist kann auch Gutes tun
In der Ausstellung „Jüdisches Leben und Polizei – Vergangenheit trifft Gegenwart“ wird auch auf widerständige Biografien verwiesen, die Mut machen.
Ausgangspunkt war, dass sich die Berliner Polizei mit einem eigenen Beitrag am Jubiläumsjahr „1.700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ beteiligen wollte. Das Konzept ausgearbeitet haben maßgeblich Polizeinachwuchskräfte. Von der Nazizeit, in der der damalige Berliner Polizeipräsident 1938 insgesamt 76 Richtlinen erließ, um die jüdische Bevölkerung beim Vorsprechen bei der Polizei zu schikanieren, spannt sich der Bogen bis heute zu rechtsextremistischen und antisemitischen Vorfällen, auch innerhalb der Polizei. Sieben Stelltafeln gibt es.
Die Themen sind nur angerissen, in der virtuellen Schau juedisches-leben-und-polizei.berlin.de erfährt man mehr. „Hate Speach“ und „mit Vehemenz entgegentreten“ ist eine Stelltafel überschrieben. Veröffentlicht sind dort Presseberichte über einen Vorfall, der 2020 bekannt wurde. Studierende der Polizei mussten die Hochschule verlassen, weil sie in Chats menschenverachtende Inhalte getauscht hatten.
Eröffnet wurde die Schau am Donnerstag im Rahmen eines Festaktes auf dem Gelände der Neuen Synagoge in Mitte. Dem Antisemitismus in der Gesellschaft als auch in den Reihen der Polizei entschlossen entgegenzutreten, „dafür stehe ich als Polizeipräsidentin“, sagte Barbara Slowik in ihrer Ansprache. Auch Innensenator Andreas Geisel (SPD) versicherte, dass Extremisten in der Berliner Polizei keinen Platz hätten. Das Erstarken des Antisemitismus sei ein gesamtgesellschafliches Phänomen und längst kein Problem der Ränder mehr. „Die Gefahr“, so Geisel, „liegt im Schweigen der Mitte.“ In der Ausstellung würden aber auch Biografien gezeigt, „die Mut machen“.
Vollständige Zerstörung verhindert
Als Beispiel verwies er auf den Vorsteher des Reviers 16 am Hackeschen Markt, Wilhelm Krützfeld. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 waren alle Polizisten angewiesen worden, Gewaltaktionen gegen Juden nicht zu verhindern. Polizeibeamte des Reviers 16 hatten sich der SA indes entgegengestellt und so die vollständige Zerstörung der Neuen Synagoge verhindert. Entgegen dem Befehl hatte Krützfeld sofortige Löscharbeiten angeordnet und sich dabei auf Denkmalschutz und den Schutz der umliegenden Häuser berufen.
Andere Polizisten des Reviers sollen jüdische Einrichtungen vor Razzien gewarnt und hilfreiche Papiere besorgt haben. „Man hat sich wahrscheinlich gegenseitig gedeckt, anders wäre dieses Ausmaß an Hilfe nicht möglich gewesen“, wird auf der entsprechenden Tafel vermutet. Korpsgeist kann offenbar auch Gutes bewirken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern