Jubiläum von taz nord: Zeitung selbst gemacht
Vor 40 Jahren erschien die erste taz hamburg, vor 35 Jahren die erste taz bremen. Manches aus der Vergangenheit klingt erstaunlich aktuell.
Hinzu kommt: Das waren ganz schön viele Menschen, die daran mitgewirkt haben. Autor:innen, klar. Aber eben auch: Fotograf:innen, Korrektor:innen, Setzer:innen, Anzeigenleute … Und sie alle haben ganz eigene Erfahrungen und eigene Blicke auf die Geschichte der Hamburger und der Bremer taz. Drum, das vorneweg, ist dies eine kleine Kollektivgeschichte – die auf die Namen Einzelner verzichtet.
„Eigentlich ist es doch ein Wunder, dass es die taz noch immer gibt“, sagte mir, angesprochen auf die runden Geburtstage der beiden Lokalausgaben, eine Kollegin kürzlich. Nach kurzer Verwunderung erschloss sich mir, seit einem Jahr Volontär in Hamburg, dieses Fazit doch recht gut.
Das geht ja schon bei den 1980ern los, in denen sich die beiden Lokalteile gründeten: Viel später kann man nun wirklich nicht auf die Idee kommen, eine täglich gedruckte Zeitung auf die Beine zu stellen. Während Auflagen zu sinken beginnen und die ersten Verlage Redaktionen zusammenlegen, beschließen jene, die die ersten Bremer und Hamburger tazler:innen werden sollten, etwas Gegenläufiges: Zeitung selbst zu machen.
Denn hüben wie drüben war das offenbar ganz dringend nötig. Es brauchte schnellstens eine linke Alternative zum Presseeinerlei aus Weser-Kurier und, bis auf die Titelseite, identischen Bremer Nachrichten, zu Springers Quasi-Monopol aus Abendblatt, Bild und Welt, ja sogar zur Mopo, die nur an der Oberfläche des Boulevards scheinbar dagegen hielt.
Hamburger taz-Redakteur
„Die ausgehenden 70er waren wilde Zeiten mit vielen Nachrichten, die die bürgerlichen Zeitungen nicht interessierten“, erklärt es einer, der in Hamburg von Anfang an dabei war. Da war die Anti-AKW-Bewegung, da waren Arbeitskämpfe, Besetzungen und die Nazis, über die man für die lokalen Leser:innen berichten musste – weil die Konflikte bei den Etablierten doch immer ganz falsch dargestellt wurden!
Im Oktober 1981 war es dann so weit, nach ein paar Nullnummern: Jeden Tag sollte auf gedruckten Seiten stehen, was das Redaktionskollektiv für wirklich wichtig hielt. Wer das war? „Ein Haufen Individualisten“, schildert es der eine, „furchtlose Dilettanten“ beschreibt ein anderer, der damals dabei war, die ersten Hamburger tazler:innen.
In Bremen, Anfang Oktober 1986, sah es kaum anders aus. Engagierte Bremer:innen hatten 150.000 Mark zusammengelegt, um damit einen eigenen Lokalteil zu erzwingen. Die taz-Initiative in Hannover hatte das Nachsehen. Auf dem Bett des fest angestellten Bremen-Korrespondenten der taz wurden die ersten Ausgaben produziert, ehe sie auf Floppy-Discs am Bahnhof einem Lokführer in die Hand gedrückt wurden. Die Texte schrieben auch freie Autor:innen – weniger fürs Geld als für die Sache, natürlich.
Und es lief, zumindest journalistisch. Selbst Bremer Sozialdemokrat:innen bekannten, dass das, was in der taz über sie stand, gewichtiger war als bei der Konkurrenz. Dabei war der Masterplan hinter dem Projekt doch gerade gewesen, die ewige Mehrheit der Beton-SPD zu brechen.
Ironie der Geschichte, dass dann ausgerechnet die taz die „Piepmatz“-Affäre lostrat und damit dem zarten Pflänzchen Ampelkoalition den Garaus machte. Was folgte, waren bleierne Jahre unter einer Großen Koalition, die aber immerhin journalistisch ergiebig waren. Hochtrabende Pläne von Henning Scherfs Senat – kennt noch irgendwer den Space Park? – lieferten genug Anlass, sich die Finger wund zu schreiben.
In Hamburg gab es mit Dioxin-Skandalen, Hafenstraße, Flora-Besetzung und später den Bedrohungen durch den CDU/Schill-Senat ohnehin genug Themen, für die sich die taz als Berichterstatterin mit der größten Expertise sah. „Wir waren in vielen politischen Spektren verankert“, sagt ein früherer Autor.
Die taz hamburg war ein Bewegungsblatt. Das zahlte sich aus: Mit und in der taz sprachen viele, die sonst kaum in der Presse vorkamen. Die Enttäuschung, wenn in der taz etwas Kritisches über sie stand, war dann umso größer. 1982 wurden die Redaktionsräume im Nernstweg verwüstet. Die taz hatte das Gebaren des Publikums im Prozess gegen zwei Atomkraftgegner kritisiert, die in Brokdorf einen Polizisten mit Schaufel und Spaten geschlagen haben sollen.
Beweise im Handschuhfach
Drei Jahre später wiederholte sich das Schauspiel, diesmal wegen eines Interviews mit dem Verfassungsschutzchef über die Hafenstraße.
Ähnlich großes Interesse an den Räumen der Redaktion – vor allem an dem, was dort so herumliegt – hatten auch die Ermittlungsbehörden: Bei der taz eingegangene Bekennerschreiben waren besonders begehrt – doch derlei sensibles Material lagerte im Auto eines Hamburger tazlers im Handschuhfach.
Weniger gut lief: die Finanzierung – woran sich bis heute nicht viel geändert hat. Und das sorgte für viel Stress mit der Berliner „Zentrale“, wie heute noch immer manche ältere Kolleg:innen latent distanziert die Entscheidungsgremien im Berliner taz-Haus bezeichnen. Empörte Leser:innenbriefe füllten 1994 eine ganze Seite der taz, als eine Schließung der Hamburger Redaktion im Raum stand.
Doch den 20. Hamburger und 15. Bremer Geburtstag im neuen Jahrtausend erreichten die beiden Lokalteile locker. Danach jedoch ging es ans Eingemachte: „Teilfusion“ war das Stichwort der Stunde – und sorgte in Bremen wie in Hamburg für Entsetzen.
Die taz nord wurde, so schrieb es vor zehn Jahren ein Kollege, „nicht aus heroischer Auflehnung oder Euphorie heraus geboren, sondern aus Berechnungen“.
Die Verluste waren einfach immer größer geworden, obwohl doch die Hamburger:innen und Bremer:innen viel unternahmen, um Geld zu sparen: In Hamburg musste immer erst das Plenum basisdemokratisch über die Notwendigkeit einer neuen Kugelschreiberbestellung debattieren; und war ein zweites Telefon in der Redaktion wirklich notwendig? In Bremen beschlossen sie sogar eines Tages eine kollektive Gehaltskürzung – obwohl das Lohnniveau schon unter dem in Berlin und Hamburg lag.
„Wir haben uns mit Händen und Füßen gewehrt“, erzählt rückblickend ein Bremer Redakteur zu der von oben verordneten Fusion. Das lag auch am Sparzwang, dem einige Kolleg:innen zum Opfer fielen: Die beiden Fotoredaktionen wurden abgewickelt. Und dann gab es gefühlte Vorbehalte in beiden Städten – die lokalpatriotische Abneigung zwischen Hamburg und Bremen machte auch vor tazler:innen nicht Halt. „Die Bremer haben uns, ehrlich gesagt, einen Scheiß interessiert“, fasste es mir kürzlich ein Kollege zusammen.
Schleichend schwand das Lokale und wuchs der Norden: Erst eine, dann zwei, schlussendlich drei Seiten taz nord. Und damit ist jetzt noch ein Geburtstag zu nennen – nachträglich: In diesem Frühjahr ist die taz nord in ihrer gerade noch existierenden Form 15 Jahre alt geworden.
Dass alles mal ganz anders war, ist bei den Redaktionssitzungen oder in den Mittagspausen immer mal wieder eine Bemerkung wert – von den Redakteur:innen, die schon länger dabei sind. Aber die herzhafte Abneigung scheint verschwunden.
Manch anderes dagegen nicht ganz: Was geht denn so in Hannover? Und in Kiel? Und an den Küsten und im Harz? Für mich, der es ja gar nicht anders kennt, ist diese Denkweise bei der Arbeit völlig normal. Für manch andere nicht. Was ist denn dieser Norden? Welche Großstädter:innen interessiert denn schon, was zehn Kilometer hinter der Stadtgrenze passiert? Und wen das Thema aus dem tiefsten Süden Niedersachsens? All das müssen letztlich die Leser:innen entscheiden. Gestritten – oder mindestens leidenschaftlich diskutiert – wird darüber in der Redaktionskonferenz jedoch fast immer.
V-Leute und Kohlekraftwerke
Und so gab es doch seit dem Start der taz nord genug Themenfelder gemeinsam zu beackern – den Bremer „Bamf-Skandal“, das Vor- und Nachspiel des G20-Gipfels in Hamburg – und eben auch, wie es um das Wattenmeer steht oder wo sich gerade eine neue rechte Szene bildet.
Ein Blick in die Anfangszeiten zeigt: Thematisch hat sich gar nicht so viel verändert. Gleich in den ersten Wochen der taz hamburg ging es um V-Leute in der linken Szene, um die bundesweiten Umtriebe Hamburger Neonazis und um eine Demo gegen die vermieterfreundliche Politik des Senats. In der taz bremen ging es schnell los mit Energiepolitik: Braucht es wirklich ein neues Kohlekraftwerk?
Kommt Ihnen das nicht alles verdammt aktuell vor? Gleichzeitig hat sich vieles verändert – personell und strukturell, natürlich. Aber eben auch die Grundlage für die Arbeit: Die Auflagen gedruckter Tageszeitungen sind immer schneller gesunken. Deshalb: Ja, es verwundert doch, dass es hier im Norden immer noch eine taz für die lokalen und regionalen Geschichten gibt.
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