Journalistikstudium in Leipzig: Bröckelnde Traditionen

Früher war die Leipziger Uni eine der besten Adressen für junge Journalisten. Dann kam die Bologna-Reform und viel interner Streit.

Die Erben einer über 350-jährigen Zeitungstradition: Leipziger Journalistikstudenten 2011. Bild: dpa

LEIPZIG taz | Wenn er daran denkt, was von all dem übrig ist, was er jahrelang in Leipzig aufgebaut hat, kann Michael Haller nachts nicht schlafen. Manchmal, wenn er nicht schnell genug an was Anderes denken kann. Was dagegen hilft? „Ich halte mich so gut es geht auf Distanz“, sagt der 67-Jährige. „Ich ertrage das nicht anders.“

Die Journalistik-Ausbildung in Leipzig ist Hallers Erbe. Der Studiengang, den er nach der Wende aufgebaut und bis zum Herbst 2010 als Professor für Allgemeine und Spezielle Journalistik geleitet hat. Dann ging er in den Ruhestand. Michael Haller machte aus der DDR-Journalisten-Kaderschmiede die beste universitäre Ausbildung für Journalisten in Deutschland. Praxisnah und qualitativ hochwertig, so das Fazit einer Umfrage unter 240 Chefredakteuren deutschlandweit in den Jahren 2004 und 2005.

Heute bröckelt das Image. Das liegt am ständigen Ärger mit einem Professor, einer medial inszenierten Kampagne und einem Studiengang, der – so die Meinung einiger Institutsmitglieder – nicht mehr praxistauglich ist.

Der zehnsemestrige Diplomstudiengang Journalistik – Volontariat inklusive – ist jetzt ein sechssemestriger Masterstudiengang, von dem zwei Semester auf die Ausbildung im Medienunternehmen fallen. Aus 60 Studienanfängern wurden 30. Die Studenten kommen ohne viel Vorbildung, denn der vorangegangene Bachelor darf nicht artverwandt sein.

Die Grundlagen fehlen, bemängeln einige

In vier Fachsemestern sollen die Masterstudenten zu Journalisten ausgebildet werden. Kann das funktionieren?

■ Die Tradition: 1650 erschien in Leipzig mit den Einkommenden Zeitungen die erste Tageszeitung der Welt. 1916 gründete Karl Bücher das Institut für Zeitungskunde. Es war das erste dieser Art.

■ DDR-Zeit: Als Teil der Abteilung „Agitation und Propaganda“ war das Institut – umgangssprachlich „Rotes Kloster“ genannt – in der DDR die einzige universitäre Ausbildungsstätte für Journalisten. Ende 1990 wurde es aufgelöst.

■ Nach der Wende: 1993 wurde das Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften neu gegründet, mit dem Diplomstudiengang Journalistik als einem von fünf Bereichen. Dieser galt lange als eine der besten Journalistenausbildungen Deutschlands. Nach einem mehrstufigen Eignungstest wurden jedes Wintersemester 60 Studenten aufgenommen.

■ Reform: Im Zuge der Bologna-Reform gibt es seit 2005 einen Master-Studiengang Journalistik. Aus dem mehrstufigen, sehr aufwändigen Eignungstest wurde ein Gespräch.

Es kann, sagt Abteilungsleiter Marcel Machill, der die mittlerweile einzige Professur für Journalistik inne hat. Exzellente Praxisseminare gebe es, hervorragende Lehrbeauftragte und topaktuelle Forschungsseminare. Der Master ist komprimiert, das zweite Hauptfach – früher Teil des Diploms – wird als Bachelor vorgelagert. „Wir bilden gute Journalisten aus“, sagt Machill.

Das sehen einige Kollegen anders. Die Grundlagen fehlen, bemängeln sie. Handwerkliche Belange wie Recherche, Darstellungsformen und Stilistik würden nun größtenteils Moderation und Präsentation weichen. „Insgesamt ist die Umstrukturierung zwar gelungen“, sagt Günter Bentele, Professor für Öffentlichkeitsarbeit/PR am Institut und Dekan der Fakultät. „Aber das breit angelegte Basiswissen, das es im Diplomstudiengang gab, kann kaum mehr vermittelt werden.“ Das sei eine der Schwächen des Studiengangs. Grundlagen würden de facto gar nicht mehr stattfinden, sagt auch Haller mit Blick auf das Vorlesungsverzeichnis: Berufsethik, textbasierte Darstellungsformen, Sprachkompetenz – Fehlanzeige.

Machill setzt andere Schwerpunkte, forscht vor allem in den Bereichen internationaler Journalismus und elektronische Medien, da ist er gut. Das Studienangebot ist in weiten Teilen danach ausgerichtet. Haller nennt es einen Etikettenschwindel. Am Ende seien die Masterstudenten für den journalistischen Alltag nicht mehr fit.

"Einige Bewerber sind für den Alltag kaum zu gebrauchen"

Zahlreiche Medienpartner, die Studenten als Volontäre ausbilden, sind nach wie vor zufrieden mit den Leipzigern. Aber es gibt auch Redaktionen, die einen Unterschied in der Qualität sehen. „Das Studium lässt zu wenig Zeit, um praktisch zu arbeiten“, sagt etwa Olaf Kittel, stellvertretender Chefredakteur der Sächsischen Zeitung in Dresden. Einige Bewerber seien für den journalistischen Alltag kaum zu gebrauchen. Er sagt, er halte grundsätzlich viel von der Ausbildung in Leipzig. Aber er hat die Sorge, dass die Praxis und die Grundlagen weiter leiden.

Die Studenten selbst haben keinen Vergleich zu früher. Aber sie sagen, dass sie gerne mehr Möglichkeiten hätten, sich auszuprobieren. „Die richtige Ausbildung zum Journalisten kommt dann wohl erst im Volontariat“, sagt eine Studentin. Die Redakteursausbildung soll eigentlich den Abschluss des Studiums bilden – nicht Ersatz für fehlende Praxis während des Masters sein.

Dass die Bologna-Reform Veränderungen mit sich bringt, ist nicht weiter verwunderlich. Die Diskussion darüber ist das eine. Der Ruf, der dem Studiengang inzwischen anhängt, ist das andere. Marcel Machill hätte gerne, dass man beides voneinander trennt. Er dürfte wissen, dass ihn nicht wenige Mitarbeiter, Absolventen und Studierende dafür mitverantwortlich machen, dass das Ansehen der Ausbildung leidet. Der 44-Jährige gilt nicht erst seit der Umstellung auf Bachelor und Master am Institut als schwierig. Das merkt man schon daran, dass sich kaum ein Mitarbeiter oder Student traut, mit Namen in der Zeitung zu stehen.

Ihm fehle jedes Gespür für eine sachliche und konstruktive Kommunikation, sagen die einen. Machill sagt, er könne gut mit Kritik umgehen und sei einfach direkt. Er arbeite vor allem mit Druck und Drohungen, werfen ihm andere vor. Machill sagt, er sei fordernd. Ein Taktiker, unfähig zur Teamarbeit, erzählen ehemalige Mitarbeiter. Machill sagt, er arbeite gerne mit vernünftigen Leuten zusammen. Da werde ein völlig falsches Bild von ihm gezeichnet.

Ein offener Brief, der zu einer Medienkampagne wurde

Das Institut hat heftige Jahre hinter sich. Konflikte zwischen den Professoren gab es auch schon zu Hallers Zeiten – und nicht jeder hatte mit Machill zu tun. Auch Haller galt nicht unbedingt als einfach, auch er stand gerne im Mittelpunkt, auch er war eitel, wenn es um seinen Studiengang ging. Nach seinem Weggang wurde die Stimmung am Institut aber nicht besser, ein Kampf um Ressourcen und Stellen begann. Die Idee: Umverteilen. Dass ausgerechnet die Abteilung Journalistik, jahrelang Aushängeschild des Instituts, kleiner werden sollte, wollten die Mitarbeiter – allen voran Machill – nicht hinnehmen.

Sie wehrten sich, am Ende mit einem offenen Brief, aus dem eine Medienkampagne wurde, die Günter Bentele heute als „irritabel“ bezeichnet. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, das Institut wolle die Journalistik abschaffen. Unfug, sagt Bentele. Davon sei nie die Rede gewesen, nur von einer Verleinerung und einer Neuausrichtung aller Kommunikationsstudiengänge.

Am Ende stand ein Kompromiss, Machill bekam eine Stelle mehr als vorgesehen. „Die Vereinbarung mit ihm war: Er bekommt einen etwas ’kleineren Garten‘, kann dort dann aber schalten und walten, wie er will“, sagt Günter Bentele heute. Was wolle man auch machen, im Zweifelsfall müsse man mit Machill ja noch 20 Jahre am Institut auskommen.

Aus Hallers Professur wurde eine Juniorprofessur, deren offizielle Besetzung unmittelbar bevorsteht. Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich, dass einer von Machills engsten Mitarbeitern die Stelle so gut wie sicher hat. Machill quittiert das mit einem Lächeln.

Hallers Prognose: Der Ruf wird sich weiter verschlechtern

Der Zwist hat Spuren hinterlassen. „Natürlich hat dieser Konflikt zu einer Rufschädigung des Instituts geführt“, sagt Bentele. Und das habe auch an Machill gelegen.

Ihm fehlt das Charisma von Haller. Machill ist keiner, vor dem die Studenten Ehrfurcht haben – eher Angst. Ob es nicht schwer für ihn sei, eine Abteilung zu leiten, die immer noch mit dem Namen Michael Haller in Verbindung gebracht wird? Heftiges Kopfschütteln bei Machill. „Haller ist seit zweieinhalb Jahren pensioniert. Wir benutzen nach wie vor seine Lehrbücher“, sagt er. Mehr nicht. „Haller ist allgegenwärtig“, sagen hingegen die Studenten. Sie hören von ihm in den Vorlesungen, lesen seine Bücher, reden über ihn. Es sei klar, wer hinter dem guten Ruf des Instituts stecke, sagen sie.

Da wird Michael Haller ein wenig wehmütig. Seine Prognose: Der Ruf der Ausbildung werde sich in den kommenden Jahren weiter verschlechtern. „Medienpartner werden abspringen, die Redaktionen werden merken, dass die Volontäre aus Leipzig nicht mehr das Wissen und Können mitbringen, das in den Redaktionen gebraucht wird“, sagt er.

Unsinn, sagt Marcel Machill.

Die Autorin hat von 1999 bis 2006 Diplom-Journalistik in Leipzig studiert, dabei aber keine Kurse bei Marcel Machill belegt. Die taz vergibt im Rahmen einer Kooperation in der Regel jährlich mindestens einen Volontariatsplatz an Leipziger Studenten

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