Journalist über Proteste in Thailand: „Unzufrieden seit einem Jahrzehnt“
Pravit Rojanaphruk begleitet als Journalist die Proteste in Thailand. Er erklärt, warum sie trotz der Festnahme von Führungspersonen nicht nachlassen.
taz: Pravit Rojanaphruk, warum lassen sich die Demonstranten bisher nicht vom kürzlich verhängten Ausnahmezustand, von der Festnahme ihrer AnführerInnen und zuletzt dem Einsatz von Wasserwerfern einschüchtern, sondern nehmen die Proteste noch zu?
Pravit Rojanaphruk: Die Demonstrierenden heute sind eine neue Generation, die andere Vorstellungen von Thailands Zukunft hat als die Älteren, zu denen ich gehöre. Die meisten sind unter dem Militärregime aufgewachsen – der Putsch war im Mai 2014 – also vor 6,5 Jahren hat General Prayuth die Macht übernommen. Wir hatten seitdem Wahlen, aber wir haben nur eine Scheindemokratie. Jetzt sind politische Treffen ab fünf Personen verboten, sogar Selfies von den Demos ins Netz zu stellen ist strafbar. Die Jungen zeigen, dass sie so nicht leben wollen und sie haben gemerkt, dass die Monarchie dabei ein zentraler Punkt ist.
Bevor wir gleich zur Rolle Monarchie kommen, worin unterscheidet sich die heutige Protestbewegung von früheren?
Die Jugendlichen wollen unbedingt mitbestimmen, dabei studieren sie noch oder gehen auf die Oberschule. Sie fühlen, dass es möglich sein muss, den König zu kritisieren und rechenschaftspflichtig zu machen. Sie denken eher an eine Monarchie wie in Japan oder Großbritannien, wo sich Kaiser und Königin strikt der Verfassung unterwerfen und aus der Politik raushalten müssen. Es ist für sie inakzeptabel, dass Thailands König Militärputsche absegnet. In Japan zum Beispiel steht der Kaiser heute außerhalb der Politik. Natürlich wundern sich die Demonstranten, warum der König, der als reichster Monarch der Welt gilt, von den Steuern in Thailand bezahlt wird, obwohl er meist in Bayern lebt. Der König hat sich jetzt auch noch die Entscheidungsgewalt über diese Mittel gesichert, die vorher beim Finanzminsterium lag.
Die Regierung hat inzwischen alle Führer der Protestbewegung verhaftet, aber die Proteste gehen unbeeindruckt weiter. Wie ist das möglich?
Die jetzige Protestbewegung war nie hierarchisch. Die Unzufriedenheit über die Monarchie brodelt seit einem Jahrzehnt und ist quasi ideologisch, das hängt nicht von Führungspersonen ab. Letztere sind meist nur zufällig in diese Rolle geraten, weil sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgedrückt haben, was viele denken. Erst in dem Moment, wo sie das Tabu gebrochen und öffentlich die Monarchie kritisiert haben, wurden sie zu Führern. Die jetzige zweite Reihe entscheidet momentan nur darüber, wo man sich zum nächsten Protest trifft, also heute etwa an allen U-Bahn- und Hochbahnstationen. Momentan fürchten sie, dass die Regierung Facebook zwingen könnte, ihr Seite zu schließen, weil sie darüber ihre Entscheidungen bekannt geben.
Wie bewerten Sie das Verhalten der Regierung: Sie verkündet scharfe Repression, setzt diese dann aber nicht strikt durch. Wird sie zum Papiertiger oder würde sie sonst ihre verbleibende Legitimation völlig verlieren?
52, ist ein preisgekrönter Reporter beim englischsprachigen Newsportal Khaosod in Bangkok, für das er täglich live von den Protesten berichtet. Er hat in Oxford studiert, in Harvard ene Rede gehalten und hat jahrelang für die englischsprachige thailändische Tageszeitung The Nation geschrieben. Dort wurde er nach dem letzten Putsch auf Druck des Militärs im Tausch für seine Freilassung entlassen. 2016 nahm er am Workshop für südostasiatische Journalisten der taz Panterstiftung in Berlin teil.
Die Regierung ist in der Tat in einem Dilemma. Als sie am Freitagabend versucht hat, hart gegen die friedlichen Demonstrierenden durchzugreifen, ging das nach hinten los und hat ihr viel Kritik aus dem In- und Ausland gebracht und die Proteste nur weiter angeheizt. Am schlimmsten war dieser aus Südkorea stammende Wasserwerfer, der auch Chemikalien und Tränengas versprüht sowie Farbe, um die Demonstrierenden für eine Festnahme zu markieren. Mir geht es seit dessen Einsatz erst seit heute wieder normal.
Wie reagiert der König auf die Kritik an ihm?
Bei einer Audienz am Samstag erklärte der König, wir bräuchten Menschen, die Thailand und die Monarchie als Institution lieben. Das finde ich sehr beunruhigend, denn das kann man als Mobilisierung von Royalisten und Ultraroyalisten verstehen. Zu Forderungen der Studierenden nach Reformen der Monarchie hat er nichts gesagt. Es könnte jetzt auch zu weiteren Konfrontationen kommen.
Sie waren dabei, als der Konvoi der Königin und des Prinzen am vergangenen Dienstag erstmals in Thailands Geschichte direkt mit friedlichen Demonstrierenden konfrontiert war. War das gar eine Falle der Polizei, um unter einem Vorwand gegen den Protest vorzugehen?
Zwei Festgenommenen droht jetzt lebenslängliche Haft. Es ist nicht ganz klar, einer soll schon auf Kaution freigelassen worden sein, aber insgesamt sieht es nach einer aufgeblähten Geschichte aus. Wir wussten dort nicht, dass ein royaler Konvoi vorbeifahren würde. Normalerweise sperrt die Polizei vorher die Strecke ab und kündigt das auch an. Das geschah jetzt alles nicht und alle waren überrascht. Die Hintergründe kennen wir nicht, es gibt viele Spekulationen.
Wie ist das Verhältnis zwischen König Maha Vajiralongkorn und Regierungschef Ex-General Prayuth und dem Militär?
Klar ist, dass sich Prayuth an die Macht putschte, bevor der König inthronisiert wurde. Er ist also nicht der Kandidat des Monarchen. Und Prayuth ist auch kein Ultraroyalist. Er erweist dem König nur seinen Respekt.
Könnte der König also versuchen, den Reguierungschef auszuwechseln, um seinen eigenen Einfluss zu behalten?
Momentan sehe ich eher die Möglichkeit eines weiteren Putsches. Und jeder Putsch braucht den König, um diesen abzusegnen, weil es sonst nur eine Art Meuterei wäre. Es gab schon größere Truppenbewegungen von der Westgrenze nach Bangkok, was manche schon einen Putsch durch Prayuth bezeichnen, der ja mit der Verschärfung des Notstandes fast schon das Kriegsrecht verhängt hat.
Thailands König wurde kürzlich im Deutschen Bundestag wie vom Bundesaußenminister dafür kritisiert, dass er von Deutschland aus in Thailand Politik macht. Wie kam diese Kritik in Thailand an?
Die thailändischen Medien sind weitgehend zensiert einschließlich des Webportals, für das ich arbeite. Es wurde dort meines Wissens nach nicht berichtet. Die Menschen wissen aber trotzdem Bescheid, weil darüber in den sozialen Medien berichtet wurde. Besonders Twitter und Facebook tragen auch dazu bei, dass die Demonstrierenden nicht aufgeben, sondern täglich neue Themen setzen und Aktionen machen. Bei Twitter gibt es täglich etwa drei neue Hashtags, gerade wird darüber zu Protesten aufgerufen. Das ist die neue öffentliche Sphäre.
Welche Szenarien sehen Sie für die Zukunft?
Erstens ein Selbstputsch, also Prayuth erklärt das Kriegsrecht, löst das Parlament auf und setzt eine neue, auf den ersten Blick neutralere Kommission zur Aufarbeitung einer neuen Verfassung ein. Damit würde er für etwa zwei Jahre Zeit gewinnen, dann würde es zu Wahlen kommen, für die er Oppositionelle für eine Koalitionsregierung zu kooptieren versuchen könnte. Das zweite Szenario wäre darauf zu setzen, dass die Proteste der Studierenden einfach nachlassen, weil sie zunehmend erschöpft sind. Wer hält länger durch? Prayuth könnte auch versuchen, durch gewisse Zugeständnisse wie eine neue Verfassungskommission den Protestierenden den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wenn die dann ihre Ergebnisse vorlegt, wäre das ohnehin die Zeit der nächsten Wahlen. Das dritte Szenario wäre der Putsch einer andere Fraktion des Militärs, also etwa von Ultraroylisten oder Offizieren, die dem König näher stehen als Prayuth. Das vierte Szenario wäre ein Sieg der Studierenden und ein Kompromiss über die Reform der Monarchie. So etwas hatten wir in Thailand noch nicht. Und das fünfte Szenario wäre ein Abgleiten des Landes in eine Art Bürgerkrieg. Es würde Massenverhaftungen geben und Menschen wie ich würden ins Gefängnis geworfen. Es könnte blutig werden und zu einem offenen Krieg für eine thailändische Republik führen. Momentan erleben wir den Beginn des ersten Szenarios, aber es ist unklar, ob Prayuth damit durchkommt. Ich selbst bereit mich darauf vor, bald verhaftet zu werden. Bitte helft mir, wenn ich im Gefängnis sitze.
Um zu gewinnen, bräuchten die Demonstrienden aber Verbündete, oder?
Ja, die wird es aber nicht geben, solange nicht Tausende verhaftet werden. Erst dann gibt es Leute im Apparat, die vielleicht die Seite wechseln. Bisher ist die Protestbewegung ohne Führung und hat sich am Beispiel Hongkongs orientiert nach dem Motto „seid wie Wasser“. Das ist eine Art Guerillaprotest. In Hongkong hat die Protestbewegung so gut wie verloren. Das kleine Hongkong ist mit der Übermacht Chinas konfrontiert. Bei uns gibt es nicht nur Proteste in Bangkok, sondern in vielen Städten.
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