Journalist deckt vermeintlichen Mord auf: 79,3 Prozent Hass
Ein Niederländischer Journalist löst mit versteckter Kamera und Lockvogel einen Kriminalfall. Das Ergebnis: Vorverurteilung und eine tolle Quote.
Vor einem Apartmenthaus in Drachten versammelte sich am Wochenende eine aufgebrachte Menge. Joran van der Sloot, der momentan wohl meistgehasste Mann der Niederlande, soll sich dort bei einem Freund verborgen halten, hatte der Sender SBS 6 in Vorankündigungen einer Sondersendung verbreitet. Todesdrohungen wurden ausgestoßen, die Hausgemeinschaft rief einen Sicherheitsdienst. Der vermeintliche Freund sagte, er kenne Joran nicht und habe vergeblich versucht, den Sender über den Fehler aufzuklären. Aber was sind solche Kleinigkeiten, wenn es um die Quote geht?
Die jedenfalls war unfassbar. 73,9 Prozent Marktanteil - sieben Millionen sahen zu - machte die Sendung "Peter R. de Vries, Kriminalreporter" am Sonntag zur erfolgreichsten Sendung des niederländischen Fernsehens seit Einführung der Privatsender - abgesehen von Fußballspielen.
Es ging um das Verschwinden des amerikanischen Teenagers Natalee Holloway auf Aruba, das seit Mai 2005 das Land bewegte. Der damals 17-jährige Niederländer Joran geriet unter Verdacht, darin verwickelt zu sein. Doch ihm konnte nie etwas nachgewiesen werden. Dann nahm sich Peter R. de Vries der Sache an. Der Journalist ist eine schillernde Figur und ein Selbstdarsteller - gilt aber auch als Rechercheur als etabliert. De Vries stellte Joran van der Sloot eine Falle. In seinem Auftrag freundete sich ein Lockvogel mit ihm an. Vor versteckten Kameras und wohl unter dem Einfluss von Marihuana beichtete Joran schließlich, was 2005 wirklich geschehen sein soll. Natalee sei nach Sex und Drogenkonsum kollabiert, er habe sie für tot gehalten und im Meer versenken lassen. Ein scheinbar klares Bekenntnis, vorgetragen in einem angeberischen und gefühlskalten Ton.
Das öffentliche Urteil über Joran van der Sloot, der inzwischen untergetaucht ist, steht nach diesem Auftritt fest. Zumal auch Peter R. de Vries, der in seiner Sendung die Aufnahmen auch Natalees geschockter Mutter vorführte, nicht mit Werturteilen sparte. "Jagd auf ein angeschossenes Wild" nennt das Algemeen Dagblad die Situation. Wie van der Sloots Einlassungen juristisch zu werten sind, ob von Mord, unterlassener Hilfeleistung oder Störung der Totenruhe zu reden wäre, das seien Fragen, die de Vries einfach wegwische, schreibt die Zeitung Trouw.
Ob der Fall als juristisch gelöst zu betrachten ist, ist unklar. Die Staatsanwaltschaft auf Aruba ermittelt nun wegen eines Tötungsdelikts gegen van der Sloot, ein Haftbefehl erging zunächst aber nicht. Sein Anwalt hat angekündigt, dass sein Mandant noch in dieser Woche aussagen wollte. Im Falle einer späteren Verurteilung müsse man auf das Strafmaß sicher den Effekt der Fernsehverurteilung anrechnen, befand die Zeitung NRC-Handelsblad.
Kurz: Ein Journalist macht Polizeiarbeit. Mit Mitteln, die der Polizei nicht erlaubt wären. Und sein Sender macht eine große Show daraus. Die Programmverantwortlichen des Senders SBS 6, der zur ProSiebenSat.1-Gruppe gehört, überbieten sich in Lob für de Vries und seine "historische journalistische Leistung", wie es Programmchefin Tina Nijkamp formulierte. Für die Quote waren die Recherchen schließlich sehr gut. Daran zweifelt niemand. NIKLAS HOFMANN
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