Journalismus und Terror: Die schwierigsten Gespräche
Angehörige von Israelis, die Geiseln der Hamas sind, werben in Berlin um Unterstützung. Sie als Journalistin zu begleiten, wirft viele Fragen auf.
A ls ich vor einer Woche ein Hotel in Berlin betrete, weiß ich nicht recht, was mich erwartet. Ich will den Angehörigen einer israelischen Geisel treffen, Alon Nimrodi, der seinen Sohn Tamir seit über 100 Tagen vermisst.
Tamir ist Soldat, er wurde am 7. Oktober von palästinensischen Terroristen der Hamas von seiner Militärbasis verschleppt. Seitdem fehlt jede Spur von ihm. Nimrodi, der Vater, ist Teil einer israelischen Gruppe von Angehörigen, die sich auf den Weg nach Berlin gemacht haben, um unter deutschen Politikern Aufmerksamkeit für ihre entführten Liebsten zu schaffen. Einzelne von ihnen besitzen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Menschen, deren jüdische Vorfahren einst von Nationalsozialisten ausgebürgert worden waren, müssen nun also nach Deutschland reisen und die Regierung hier um Hilfe bitten. Ich begleite Nimrodi mehrere Tage. Der Text soll später in der taz erscheinen.
Über drei Monate sind vergangen seit dem schwarzen Schabbat, wie der 7. Oktober mittlerweile auch genannt wird. Über drei Monate – und nichts ist einfacher geworden. Ich versuche das Unbegreifliche zu begreifen. Auch durch meine Arbeit. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel habe ich immer wieder mit Angehörigen der Geiseln gesprochen. In meiner Laufbahn als Journalistin waren das die bislang schwierigsten Gespräche.
Wenn wir uns als Journalist:innen mit Krisen und Kriegen, mit emotional herausfordernden Ereignissen beschäftigen, Menschen treffen, die gerade größtes Leid erleben, ist das nie einfach. Wir wollen den Betroffenen nahe kommen, um die Realität unmittelbar darzustellen. Wir können die Menschen aber nicht von ihrem Leid befreien. Aufmerksamkeit dafür schaffen, ja, vielleicht etwas anstoßen, zu Veränderung beitragen. Aber wir sind Journalisten, keine Helden.
Was bringt die eigene Arbeit?
Als ich also vor einer Woche das Hotel nach drei Stunden verlasse, mich in den Bus setze, auf dem Weg zu einer Verabredung, bricht es aus mir heraus. Ich blicke aus dem Fenster in die Dunkelheit und weine, aus Verzweiflung.
Während manche noch immer dabei sind, das, was am 7. Oktober geschah, zu verfälschen, davon wegzulenken oder es hinzunehmen, es zu einer bloßen Erinnerung werden zu lassen, weigere ich mich, es ihnen gleichzutun. Ja, auch weil ich mich als Journalistin verpflichtet fühle, dieses Menschheitsverbrechen anzuprangern, dagegen zu protestieren, die Betroffenen nicht im Stich zu lassen. Ich bin keine Heldin, will auch keine sein.
Als der Kibbuz Be’eri Mitte der Woche den Tod von Itay Svirsky und Yossi Sharabi bekannt gibt, breche ich in meiner Wohnung in Tränen aus. Svirskys Cousinen kämpften gerade noch in Berlin für seine Freilassung. Die Hamas hatte ein Propagandavideo veröffentlicht, worin es die Leichen der beiden Männer zeigte. Angesichts solchen Grauens verzweifle ich hin und wieder; in mir kriecht dann die Frage hoch: Was bringt das Engagement, die eigene Arbeit?
Momente des Mitgefühls schaffen
Terror provoziert bewusst auch dieses Gefühl: Ohnmacht. Aus ihr herauszufinden ist schwer, aber notwendig. Ein großer Teil dieser meiner journalistischen Arbeit ist, so finde ich, wenigstens Momente des Mitgefühls zu schaffen. Zeichen der Solidarität in Zeiten, in denen Israelis, Juden in aller Welt, Hass und Relativierung erleben. Es geht um Menschlichkeit, die Tamir, der verschleppte Soldat, wie auch die anderen Geiseln durch die Hamas nicht erfährt, die wir ihnen aber entgegenbringen können – und ihren Angehörigen.
Nach vier Tagen sitzen Alon Nimrodi und ich uns ein letztes Mal gegenüber, ich halte die Tränen zurück, sehe dann, wie Nimrodi selbst längst weint. Ich denke: Kann ich jetzt weinen? Ist das angebracht? Und sage: Ich höre jetzt auf, sonst weine ich noch. Nimrodi antwortet, sanft lächelnd: Wenn ich weine, kannst du ruhig auch weinen. Wir verabschieden uns und umarmen uns lange.
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