piwik no script img

■ Joschka Fischer ist ein Politiker neuen Typs: der flexible Seiteneinsteiger. Wenn die Grünen absteigen, geht er zur SPDDer Große Deregulator

Tabubrüche verlaufen in Deutschland seit 1977 von links nach rechts

Als Ciriaco Sforza neulich seinen Trainer kritisierte, wussten alle, dass er den Absprung vorbereitet. Aber weder Dortmund noch die Bayern wollten den notorischen Querulanten. Sforza ist nicht mehr der Jüngste, hat eine schwache Saison und eine fast zweijährige Torflaute hinter sich.

Joschka Fischer ist topfit und im besten Politikeralter. Auf dem Balkan hat er viele Treffer gelandet. Deshalb führt er seit Monaten die Politikertabelle an. Trotzdem rutschte seine Partei in die Abstiegszone. Darf so ein Mann in der zweiten Liga spielen?

Schon buhlen andere Vereine um den Schlüsselspieler. „Ordentliche Arbeit“, bescheinigt ihm CDU-Mann Pflüger: Fischer habe „voll und ganz“ die Linie früherer CDU-Kanzler übernommen. Solch Werben treibt die Ablösesumme in die Höhe. Dabei steht längst fest, dass Fischer nach dem Abstieg der Grünen zur SPD geht. Mit seinem hinreichend dämonisierten politischen Instinkt wird er so lange den grünen Troubleshooter spielen, bis der Zeitpunkt für den Wechsel gekommen ist. Fischer wird so wieder den Pionier des Paradigmenwechsels spielen. Wer, wenn nicht der erste grüne Landesminister, der erste grüne Außenminister, der erste deutsche Nachkriegs-Kriegsherr, könnte in diesen Wechselzeiten den prekärsten vakanten Job übernehmen? Den des Großen Deregulators.

Fischers Wechsel zur SPD wird die politischen Formatierungen in Deutschland erneuern und damit auf der repräsentativen Ebene nachvollziehen, was in der Ökonomie längst passiert ist. Die altmodische, fordistische Verfasstheit des Parteiengefüges wird hinweggefegt zugunsten postfordistischer Strukturen, wie wir sie aus Industrie, Sport und Entertainment kennen. Politische Traditionsbindungen & -milieus lösen sich auf, Gewerkschaften & Kirchen müssen erfolglos mit Fitnesskonzernen & Medienverbänden konkurrieren. In solchen Zeiten ist nicht einzusehen, dass die populärsten Typen am Managen gehindert werden durch antiquierten Bürokratiekram wie Parteizugehörigkeit, Fünfprozenthürde, Trennungvonamtundmandat, Doppelspitze oder gar Geschlechterquote.

Zweitliga-Vortester wie Mende, Verheugen, von Schoeler oder Schily dürfen sich dann als Avantgardisten des postideologischen Zeitalters fühlen. Schröder kommt das Verdienst zu, mit Stollmann jenes Opfer gebracht zu haben, das schmerzhafte Innovationsprozesse nun mal fordern.

Stollmann, Jost? Designierter Wirtschaftsminister in Schröders Schattenkabinett und Ejaculatio präcox des politischen Post-Bosman-Europa. Der stallgeruchfreie Computermillionär spielte den Versuchsballon. Im Testparcour „Wahlkampf 98“ wurde so ermittelt, wie viel Modernisierung das good old SPD-Volk verträgt. Stollmann brachte ein paar Tabus ins Wanken, die heute von anderen symbolheftig abgeräumt werden. Die Geschichte der Fischerkämpfe ist ja die Geschichte der Tabubrüche. Und Tabubrüche verlaufen in Deutschland seit 77 immer von links nach rechts. Stollmanns Job bestand darin, Issues & Werte zu remixen, auf dass man mal sieht, was so geht. Was noch vor einem Jahr zum Sozi-Skandal taugte, ist heute Business-Sound.

Stollmann 98: Die „jungen, hoch motivierten Leute in meiner Computerfirma brauchen keinen Betriebsrat.“ Und: „Wir müssen endlich Bilder von erfolgreichen deutschen Unternehmern in der Öffentlichkeit entwickeln. Ich möchte den Stolz und den Zuspruch der Eltern spüren, wenn sich Sohn oder Tochter tatenvoll in das Abenteuer Selbstständigkeit stürzen.“ Das Abenteuer Minister blieb ihm versagt, seine Mission als Testballon hat er dennoch erfüllt.

Denn: Ist nicht ein Parteibuch, so die zentrale Bot- & Errungenschaft dieser forcierten Umbruchphase, eine Petitesse angesichts der wirklichen Herausforderungen. Kommt es in permanenten Krisenzeiten nicht vielmehr darauf an, die besten Männerköpfe zum permanenten Krisenstab zu bündeln. War nicht dieser Herbst vor 22 Jahren deshalb so aufregend, weil der ganze Langweilismus tradierter Parteipolitik im Handumdrehen hochgepitcht wurde in klare Mann-gegen-Mann-Verhältnisse. Mogadischu, mon amour. Fischer gehörte damals zu denen, die rechtzeitig den Absprung geschafft haben. Er wird ihn auch diesmal schaffen.

Flankiert von wohl dotierten Jubelpersern, die Fischer lebenslänglich dankbar sind, bloß weil der Sponti-Königsmacher (Koenigs?) Reinhard Mohr zum Frankfurter Asta-Boss krönte. Heute sitzen sie in Hamburg, wärmen sich an der Modernisierungsdiskursmaschine und erfinden lustigen Quatsch wie „die 78er“ – Singles, die sich ganz schnell drehen.

Für Manager wie Fischer sind Parteien überholte, hinderliche Bürokratien

Fischer wird auch diesen Tabubruch auf der Siegerseite erleben. Die SPD wird ihm den roten Teppich ausrollen, ein paar von den alten Jungs darf er mitbringen. „Alte ideologische Fesseln“ (Mohr) und „festgezurrte Denkmuster“ (Hartung) landen auf dem „Müllhaufen der Geschichte“ (Hartmohr). Wo sich Deregulierung & Flexibilisierung, Putschismus & Machiavelli guten Tag sagen, da sind Leute wie Fischer zur Stelle. Männer, die schon immer lieber in antiautoritären, spontaneistischen Zirkeln operiert haben als in Old-school-Parteien, weil nirgendwo sonst informelle, unkontrollierbare – vulgo: „natürliche“ Autoritäten sich so ungehindert ihren Weg bahnen können. Im Zuge dieser Innovation werden stur manndeckende Parteisoldaten ausgewechselt. Im System Raumdeckung & Rotation sind vielseitige Spin Doctors & Headhunters gefragt.

Wenn diese Umstellungen greifen, hat die Neue SPD beste Chancen, in Blairsche Dimensionen vorzudringen. Dazu wird sie den blassen Hi-Brow-Kulturminister Naumann durch den dynamischen Media-Minister Dieter Gorny ersetzen. Dem Ex-Schröder-Berater und Clement-Protegé ist die Rolle des Stollmann-Heavy auf den Leib geschrieben. Mit der Popkomm hat der Standortfighter aus NRW die größte Musikmesse der Welt erfunden, mit Viva dem „originär deutschen Musikgeschmack“ (Mambo No.5, Die Schlümpfe) zum Durchbruch verholfen. Bei Viva findet Gorny ein jugendliches Medienproletariat mit dem „Dabeisein ist alles“-Deal ab: „Hoch motivierte“ Identifikation mit dem Produkt statt Festanstellung & Tarifvertrag. Seine größte Niederlage war die Gründung des Viva-Betriebsrats, aber den hat der Sozialdemokrat inzwischen im Griff.

Die Viva-Osterweiterung hat er schon heute weiter vorangetrieben als der Weltregierungskandidat Fischer die Nato-/UN-/Osterweiterung (wie Ost ist eigentlich Osttimor?). Vielleicht wissen sie noch nicht umeinander, aber: Der Prä-Slim-Fit-Manager Gorny und der Post-Slim-Fit-Manager Fischer wären ein Dream-Team der Wahren Neuen Mitte. Mit Strahlkraft in die Problemzone der SPD: die U-40er. Klaus Walter

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen