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Rund um die Uhr produktivEs heißt ja nicht „Work-Life-Abgrenzung“

Unbezahlte Karenztage und mehr Beitragsjahre für die Rente – Deutschland muss produktiv werden. Arbeit ist Freizeit: Das ist das neue Motto.

Warum nicht: Zoommeetings schon beim Frühstück Foto: connect images/imago

B is Ostern sollten die Ko­ali­ti­ons­ver­handlungen abgeschlossen sein. Daraus wird wohl nichts. Die SPD macht es der Union aber auch wirklich schwer. Schon gegen die Berechnung der Standardrente auf Grundlage von 47 statt 45 Beitragsjahren legt sie Protest ein. Als würden zwei Jahre den Unterschied machen. Dabei ist doch klar, dass die Rent­ne­r*in­nen auch ihren Teil zum Wirtschaftswachstum beitragen müssen, genauso wie kranke Arbeitnehmer*innen.

So ist die Wiedereinführung des unbezahlten Karenztags auch so eine großartige Idee: Entweder die Ar­beit­neh­me­r*in­nen springen zum Wohle aller über ihren verschnupften Schatten und treten gefälligst zum Dienst an. Oder sie haben einen Tag, an dem sie sich um wirklich gar nichts kümmern müssten – nicht einmal um die große Last des Bezahltwerdens.

Man könnte natürlich auch die Möglichkeiten der Work-Life-Balance ergründen. „Balance“ heißt ja nicht „Abgrenzung“, vielleicht lässt sich eine gesunde Mischung aus Arbeit und Freizeit finden: entspannt über alle 24 Stunden des Tages verteilt. Zoommeetings schon beim Frühstück.

Man kann auch bei gemeinsamen mitternächtlichen Fressattacken prima den nächsten Tag planen – nur Vorsicht, dass das obligatorisch laute „Hört man mich?“ zum Start des Onlinemeetings nicht die Kinder oder die Mit­be­woh­ne­r*in­nen weckt. Warum Teambildung nicht im Fitnessstudio? Was ist schon so ein Nullsatz wie „Du machst einen tollen Job“ gegen­ das zusammenschweißende Live-Erlebnis, bei dem man Kol­le­g:in­nen bei den Kniebeugen unter die feuchten Achseln greifen kann?

Wer braucht schon solchen Quatsch wie Therapie oder Gleitzeit

Wer braucht schon Freun­d*innen, wenn die Kol­le­g*in­nen 24/7 so nah sind, dass man ihr letztes Abendessen in der Luft schmeckt? Wer soll man noch mit einer Beziehung, wenn man rund um die Uhr mit den „Work spouses“ verbringen kann? Wenn man immer zusammen, erreichbar, produktiv ist – wenn immer Arbeit ist, ist dann nicht auch immer Freizeit?

Eine tolle Vorstellung. Es ist doch nichts heilsamer, als rund um die Uhr mit den Lieblingsmenschen der Lieblingsbeschäftigung nachzugehen. Wer braucht da zeitfressenden Quatsch wie Therapie, Viertagewochen, Gleitzeit? Die schaden nicht nur der persönlichen Produktivität, auch gesellschaftlich ist die Wirtschaftsleistung einfach wichtiger als gesunde Arbeitnehmer*innen.

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Jonathan Gerbig
Masterstudent am Journalistischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Foto: Elke Seeger
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3 Kommentare

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  • Mit der Akzeptanz der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist für immer geklärt worden, dass der Daseinszweck der Menschen die Mehrung des Privateigentums ist. Für eine Mehrheit, die lohnabhängig Beschäftigen, bedeutet dies ihre Arbeitskraft den Unternehmen zu geben, deren Daseinszweck die Mehrung des Privateigentums der UnternehmerInnen und ihrer KapitalgeberInnen ist. Die Unternehmen stehen dabei in Konkurrenz zueinander und müssen darum die Arbeit als feste Größe, die dem Unternehmenszweck entgegensteht, behandeln. Es gilt stets, die Kosten für Arbeit möglichst niedrig, die Arbeitsproduktivität aber möglichst hoch zu halten. Damit die Menschen das mehrheitlich mitmachen und ihre Arbeitskraft willig und billig hergeben, muss man ihnen unmissverständlich klar machen, dass ihr eigenes Wohlergehen, ihre Sicherheit und Freiheit abhängige Funktionen der eigenen Konsummöglichkeiten sind und sie sich das dafür notwendige Vermögen vorher durch Arbeit verdienen müssen. So wird aus der Maximierung der Lebensarbeitsleistung der Menschen als andauerndes und wichtiges Thema für das Kapital, ein gesamtgesellschaftliches Thema, das alle Menschen und den Staat zu bewegen hat.

  • Uff ganz kurz hatte ich die Befürchtung, die Überschrift sei ernst gemeint.

  • Genau. Und wenn wir schonmal dabei sind, schaffen wir auch gleich die Urlaubstage ab. Urlaub ist nur Stress und kostet Zeit und Geld. Und wozu Urlaub, wenn man doch glücklich ist in seinem Job (und das sind wir doch hoffentlich alle).