Jonas Wahmkow zu den Tücken der Nachhaltigkeit beim Bauen: Neubau als Holzweg
Nachhaltiges Bauen liegt in Berlin schwer im Trend. So werden immer mehr Holzbauprojekte geplant, wie etwa eine ganze Wohnsiedlung auf dem alten Tegel-Flughafengelände oder ein Holzhochhaus am Gleisdreieckspark. Kaum ein Neubauprojekt verzichtet darauf, sich als besonders energieeffizient und heizkostensparend zu präsentieren.
Ein Nachhaltigkeitstrend, der sich noch nicht ausreichend durchgesetzt hat, ist hingegen, gar nicht erst zu bauen, sondern stattdessen bestehende Gebäude zu sanieren. Denn in jedem Gebäude steckt „graue Energie“ in Form von Beton, Stahl und Ziegeln, deren Produktion Unmengen von CO-2 ausstößt. Dennoch ist Abreißen und Neubauen für Projektentwickler*innen oftmals die attraktivere Option.
Die Linke-Abgeordnete und Sprecherin für Stadtentwicklung Katalin Gennburg stellte dem Senat eine schriftliche Anfrage, wie er Abriss und Neubau in der Stadt zu reglementieren gedenke. Die Antworten, die der taz vorliegen, offenbaren den Handlungsbedarf in dem Feld.
So fragte Gennburg nach, ob es denn Kriterien gebe, nach denen entschieden werden könne, ob ein Gebäude abgerissen oder noch saniert werden könne: „Über das nur für öffentliche Gebäude in Berlin eingeführte Bewertungssystem hinaus bestehen keine Bewertungskriterien“, lautet die Antwort darauf.
Die Frage, ob die derzeit auf Natur und Gesellschaft ausgelagerten Kosten der durch den Neubau verursachten Umweltschäden in Zukunft etwa in Form eines CO2-Aufschlages auf die Kosten des Baumaterials auswirken werden, wird gar nicht erst beantwortet.
Doch ganz untätig ist der Senat nicht. So wird in der Novelle des Berliner Energiewendegesetzes überlegt, ob neben der Bilanzierung der grauen Energie auch eine Regelung für den Erhalt von Bestandsgebäuden eingeführt wird – allerdings nur für öffentliche Gebäude.
Auch die Reform der Bauordnung verspricht etwas mehr Nachhaltigkeit: Wer in Zukunft ein Gebäude abreißen will, muss zunächst ein Recyclingkonzept einreichen, in dem die Wiederverwendung der Baustoffe geklärt wird. Bauabfälle sind in Deutschland für über die Hälfte des Müllaufkommens verantwortlich.
Auch versucht das Land, die Lebensdauer öffentlicher Gebäude zu verlängern, indem beim Bau flexiblere Nutzungmöglichkeiten eingeplant werden. Der derzeitige nach wirtschaftlichen Kriterien kalkulierte Lebenszyklus von nur 30 bis 50 Jahren sei mit dem Nachhaltigkeitsgedanken nicht vereinbar, kritisiert Gennburg in der Anfrage.
Bereits reglementiert ist der Abriss von Wohnraum durch das Zweckentfremdungsverbotsgesetz. Will ein Eigentümer Wohnraum abreißen, muss er das zunächst genehmigen lassen – indem er bezahlbaren Ersatzwohnraum bereitstellt. Für Nichtwohngebäude gibt es derzeit nur wenige Auflagen. Insgesamt wurde seit 2018 der Abriss von 1.569 Wohnungen genehmigt.
Es gebe zwar Schritte in die richtige Richtung, resümiert Gennburg gegenüber der taz, doch bräuchte es größere Maßnahmen: „Wir brauchen eine Anti-Abriss-Offensive“. Statt Abriss und Neubau sollte mehr in die Bestandsqualifizierung investiert werden.
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