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Jesus gegen den Neffen Saladins

Rund um die Verkündigungskirche in Nazareth ist ein Religionskrieg ausgebrochen. Die Stadtverwaltung will einen Vorplatz mit Cafés bauen, gläubige Muslime fordern eine Moschee. Israels Regierung freut sich  ■   Aus Nazareth Susanne Knaul

„Und er kam zu ihr herein und sprach: Sei gegrüßt, du Begna- dete! Der Herr ist mit dir.“ Genau dort, wo heute die Verkündigungs- kirche Nazareths steht, soll vor 2.000 Jahren der Erzengel Gabriel auf die Jungfrau Maria getroffensein. Laut Lukas-Evangelium hat er ihr mitgeteilt: „Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären; und du sollst ihm den Namen Jesus geben.“

Die Verkündigungskirche ist heute zentraler Anlaufpunkt für die Pilger aus aller Welt. Rechtzeitig zur Jahrtausendwende sollte hier ein Vorplatz angelegt werden, umgeben von kleinen Läden und Cafés. Seit sieben Jahren ist die Stadt eine einzige Baustelle; neue Straßen werden planiert, und die Gegend um den Markt wird neu hergerichtet, alles ohne den leisesten Widerstand der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung. Im Gegenteil: „Das Projekt ,Nazareth 2000‘ war von vornherein darauf angelegt, die Infrastruktur nicht nur für die Touristen, sondern zum langfristigen Nutzen der hier lebenden Menschen zu entwickeln“, erklärt Nabila Espanioly, Aktivistin der Demokratischen Front für Frieden und Gleichberechtigung, der Linksaußen-Partei, die den Bürgermeister stellt. „Nazareth ist die größte arabische Stadt in Israel und hat immer weniger Geld vom Staat bekommen als die jüdischen Städte.“

Diese Woche zog Nabila mit hundert gleichgesinnten christlichen und muslimischen Frauen ihrer Partei an die Maria-Quelle im Ort, um gegen Gewalt zu demonstrieren. Anlaß waren schwere Auseinandersetzungen unmittelbar vor der Verkündigungskirche. Der Widerstand gegen die Vorbereitungen auf die Jahrtausendwende meldete sich in dem Moment, als die gläubigen Muslime ihre eigenen Stätten bedroht sahen. Vor der Verkündigungskirche mußte, um dort den vom christlichen Bürgermeister geplanten Platz anzulegen, eine muslimische Schule mit integrierter Moschee abgerissen werden, was vor gut zwei Jahren geschah. Für die frommen Muslime war klar, daß, weil dort einmal ein islamisches Haus gestanden hatte, auch in Zukunft wieder eins hermuß. Die Leute von der „Waqf“, der für islamische Heiligtümer zuständigen Institution, zogen mit einem riesigen Zelt auf den Platz und fordern seither, daß hier erneut eine Moschee errichtet wird. Bilder des von ihnen geplanten Neubaus existieren bereits: Die Moschee überragt darauf die Verkündigungskirche so eindeutig, daß kein Zweifel mehr daran bleibt, welches die vorherrschende Religion in Nazareth ist.

Offizieller Grund der „Waqf“ für ihr Beharren ist der Tatbestand, daß sich auf dem fraglichen Gelände die Grabstätte des Scheichs Schihab ad-Din befindet, Neffe von Salah ad-Din (Saladin), der einst die Kreuzritter schlug.

„Unser Problem hat nichts mit den Christen zu tun, sondern mit dem kommunistischen Bürgermeister“, wettert Ahmad Soabi, der mit einer Gruppe Bärtiger vor dem Gebetszelt sitzt. „Wenn wir gleich neben der Kirche eine Moschee errichten, ist das gerade ein schönes Symbol des friedlichen Zusammenlebens von Christen und Muslimen in Nazareth.“ Es könne sogar eine Brücke zwischen den beiden Gebäuden konstruiert werden, verspricht der Ingenieur.

Einig sind sich die beiden Parteien allein in ihrem Vorwurf an Staat und Polizei. Die Regierung hätte klare Entscheidungen treffen müssen, und die Polizei sollte für Ruhe und Ordnung sorgen. Von gezielter Provokation ist die Rede, von Problemverschleppung und Wegsehen. „Der Likud will die Bevölkerung spalten, um mit leeren Versprechungen Stimmen für die Wahlen zu gewinnen“, spekuliert Soabi. Und die Christin Espanioly glaubt sogar, daß mit Blick auf die israelisch-palästinensischen Verhandlungen über den Status von Jerusalem in Nazareth ein Exempel statuiert werden soll. „Netanjahu will demonstrieren, daß Palästinenser nicht in Frieden zusammenleben können.“

Espanioly gesteht ein, daß man das Potential der religiösen Emotionen unterschätzt habe. „Wir haben geglaubt, daß die Frage, ob Muslim oder Christ, hinter uns läge.“ Dabei sind die Fronten gar nicht so eindeutig. In der Partei des umstrittenen Bürgermeisters Rames Dscheraisi sitzen fünf Muslime und vier Christen. „Wir sind eine weltliche Partei und fragen nicht nach der Konfession“, sagt Espanioly. So finden sich einige linke Muslime genau wie Christen in der Schußlinie ihrer Glaubensbrüder wieder. Problematisch ist für den Bürgermeister, daß er keine Mehrheit im eigenen Rathaus hat. Ihm und seinen acht Parteikollegen sitzen zehn Mitglieder der Islamischen Bewegung gegenüber. Dscheraisi schiebt die Entscheidung deshalb der Regierung zu, die ohnehin für das Land zuständig sei. Daß das Gelände vor der Verkündigungskirche Staatsland ist, wollen wiederum die „Waqf“-Leute nicht akzeptieren. „Was soll das heißen: ,Es gehört dem Staat.‘? Welchem Staat?“ fragt Soabi. „Haben sie das Land vielleicht aus Europa mitgebracht? Ist das vielleicht polnische Erde?“

Per Gerichtsverfahren wollen die Hüter der islamischen Stätten die Besitzverhältnisse klären. „Wenn es Waqf-Land ist, werden wir als erste die Übergabe an die rechtmäßigen Besitzer fordern“, verspricht Bürgermeister Dscheraisi. „Doch wenn es Staatsland ist, liegt die Lösung allein in den Händen der Regierung.“

Unterdessen sitzt Tourismusminister Mosche Kazaw, zugleich Minister für Arabische Angelegenheiten, das Problem zwischen den christlichen und muslimischen Stühlen aus. Vor den Wahlen am 17. Mai ist kaum mit einer Entscheidung zu rechnen.

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