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■ Jelly Belly greift anSüßigkeit bedroht Abendland

Nur weil den Eroberern der Welt, Kolumbus u.a., die Glasperlen ausgingen, wurden sie zu Schwert und Lanzen schwingenden Schlächtern. Eines Tages, das war klar, würden sich die unterworfenen Völker rächen. Heute ist es soweit. Die Jelly Bellies greifen an. Die Herman Goelitz, Incorporation/USA, wendet bei ihrem Aufstand gegen die abendländische Kolonisation zunächst den gleichen Trick an, wie weiland die Eroberer: Sie handeln mit bunten Perlen, eben Jelly Bellies.

Das sind Zuckerüberzogene geleeartige Bohnen in allen nur erdenklichen Farben. Typisch amerikanische Sweets, wie der Werbekatalog offeriert. Sie erobern jetzt Bremen, das heißt ganz Deutschland. Jelly Bellies werden in Selbstbedienungsstiefeln angeboten, die als Mischung aus Seifenspender und Slottermaschine Neugierde und Naivität der Einheimischen ausnutzen. Wie früher die Glassperlen lassen Jelly Bellies alles archetypische Mißtrauen vergessen.

Man kaut oder lutscht diese schillernden Bohnen nicht, man schmeckt sie. Dazu muß man sich einer Menü-Karte bedienen, um auch sicher den Geschmack, der einem gerade die Zunge narkotisiert, bestimmen zu können. Ohne diese Karte ist man aufgeschmissen. 40 „Offizielle Geschmäcker“bietet Herman uns an und beruhigt in der Menü-Karte: „Wenn möglich, benutzen wir nur natürliche Zutaten.“Täglich testet Jelly Belly in Amerika bis zu 500 Geschmäcker. Unter den auf uns losgelassenen befinden sich so illustre wie geröstete Marsh-mellows (braun gesprenkelt, grau), gebutterter Puffmais (orange gesprenkelt, gelb), Honolulusaft (braun), Inselpunsch (violett). Um Geschmacksverirrungen vorzubeugen gibt es für den einfachen Einstieg in Jelly Belly auch Kirsche (dunkelrot), Blaubeere (blau), Kokosnuß (weiß).

Wer sich mit der Menü-Karte durch das Geschmackslabyrint gezappt hat – Farbenblinde sind verratzt, für sie gibts Tutti Frutti (bunt) – der geht ein in den dritten Kreis des Geschmacksnirwanas. Ähnlich einer chemischen Kettenreaktion kann man nämlich verschiedene Geschmackspillen kombinieren um einen neuen zu kreieren. Beispiel: aus zwei Pillen Erdnußbutter (grün) plus zwei Pillen Traube (dunkelblau) wird Erdnußbutterschnitte mit Gelee; aus zwei Pillen Zitrone (gelb) plus zwei Pillen Kokosnuß (weiß) wird Zitronenbaiser usw. Die Menü-Karte fordert ausdrücklich dazu auf, selbst zu experimentieren. Offensichtlich sind dem Chemiekasten keine Grenzen gesetzt, denn Herman aus USA entwirft ständig neue Geschmacksvarianten. Die Kunden können ihm ihren Lieblingsgeschmack zufaxen, er versucht ihn dann „true to life flavour“, also, nahe am tatsächlichen Geschmack, nachzubauen.

Die Bitte um einen spontanen Geschmackstest hinterließ in der taz-Redaktion unterschiedliche Reaktionen. Kopfschütteln war die freundlichste. Eine Freundschaft zerbracht ( „Wie kannst du mir so was antun?“). Ein analytisch geschulter Kollege griff nach einer Kostprobe von Jelly Belly Melone (hellgrün) sofort zum Handbuch für chemische Kampfstoffe. Die Redaktionsschokologin dagegen fand: „Plastik? Find ich cool!“

Solange es noch Jelly Bellies gibt, haben wir, denken wir an die Kolonisation Amerikas, nichts zu befürchten. Erst wenn die Jelly Bellies alle sind, wird es ungemütlich. Dann zählt nur noch die rohe Gewalt!

Thomas Schumacher

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