Jazzszene Berlin: Improvisatorisch Spitze
In Sachen Jazz passiert in Berlin viel. Die erste Berliner Jazzwoche bündelt die Masse, und auch der Jazzpreis an Axel Dörner wird da verliehen.
Berlin ist die Welthauptstadt des Jazz und kaum jemand kriegt es mit. Das ungefähr ist der Befund, der nun dazu führt, dass ab Montag sieben Tage lang die erste Berliner Jazzwoche stattfindet. Man will hier bei Konzerten zeigen, was die Szene so zu bieten hat, und dabei nach Möglichkeit auch mal mehr Interessierte erreichen als nur die üblichen Jazzfreaks.
Um die 40 Clubs beteiligen sich an der Aktionswoche, die vom Berliner Verein IG Jazz initiiert wurde, 100 Konzerte finden über die ganze Stadt verteilt statt. In Podiumsdiskussionen soll außerdem über Geschlechterverhältnisse und Förderstrukturen im Jazz diskutiert werden. Und in einer Veranstaltung will der Musiker Jeff Özdemir Kindern erklären, was das überhaupt ist: Jazz.
Die Diskrepanz zwischen der Tatsache, dass die Berliner Jazzszene so vielfältig, brodelnd und aufregend ist und dennoch kaum von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wird in der Stadt, ist tatsächlich frappierend. Der Trompeter Axel Dörner, der im Rahmen der Jazzwoche den zum dritten Mal verliehenen Berliner Jazzpreis bekommt, sagt: „Im Moment ist die Lebendigkeit der Jazzszene in Berlin einzigartig in der ganzen Welt, ich glaube, es gab seit langer Zeit nicht so viele bedeutende Musiker, welche nun in Berlin leben und Konzerte spielen.“
Wenn man sich dann aber mit Marc van der Kemp unterhält, der den Neuköllner Jazzclub Sowieso führt, der vor allem im Bereich des experimentellen Jazz seit gut zehn Jahren ein exzellentes Programm bietet, bekommt man ein Bild davon, wie prekär diese lebendige Jazzszene aufgestellt ist. „Es gibt Konzertabende, da kommen 20 bis 25 Besucher“, sagt er, „das ist schon sehr gut.“ Oft genug kämen aber auch nur 2 oder 3 oder auch mal gar niemand, „dann muss ich das Konzert natürlich absagen“. 40 bis 50 Stunden in der Woche arbeite er für und in seinem Club, „trotzdem lebe ich teils von Hartz IV“.
Der Jazzpreis:Der mit 15.000 Euro dotierte Jazzpreis Berlin wird seit 2017 vergeben. Die bisherigen PreisträgerInnen waren Gebhard Ullmann und Aki Takase, in diesem Jahr wird der 1964 geborene Trompeter Axel Dörner für sein Schaffen gewürdigt. Verliehen wird der Preis am Donnerstag, 27. Juni, um 20 Uhr im Haus des Rundfunks, Masurenallee 8–14. Für das Preisträgerkonzert hat Dörner eine international besetzte Band zusammengestellt. Eintritt 15 Euro.
Die Jazzwoche:
Die Preisverleihung findet inmitten der ersten Berliner Jazzwoche vom Montag, 24., bis Sonntag, 30. Juni, statt, deren Besonderheit die ist, dass da eben gar nichts Besonderes hergerichtet wird. Der Fokus liegt auf dem „Normalprogramm“ mit der Fülle, was da in der Stadt an Jazz und improvisierter Musik passiert. Fast 40 Clubs, über 100 Veranstaltungen, Programm: www.field-notes.berlin.
Viele kleine Spielstätten
Die Gründe für diesen Zustand sind vielfältig. Kathrin Pechlof von der IG Jazz erklärt, einmal liege es an der Struktur der Szene. Es gebe viele kleine Spielstätten, sie nennt da beispielsweise das Donau 115 in Neukölln und den Kühlspot Social Club in Weißensee, „ausgestattet mit teilweise so gut wie keinem Budget“, die medial kaum Aufmerksamkeit bekämen. Sie würden ein hochwertiges Programm bieten, das dann aber außerhalb eigener informeller Netzwerke kaum jemanden erreiche. Auch Axel Dörner sagt, „dass die Bedeutung der Stadt Berlin für den Jazz in Europa medial zu wenig widergespiegelt wird. In den öffentlich-rechtlichen Medien beispielsweise werden die finanziellen Mittel für Jazz ja seit den letzten 30 Jahren beständig gekürzt“.
Ein Problem, sicherlich nicht für die Berliner Jazzfreunde, aber doch für Veranstalter und Musiker, ist letztlich auch das Überangebot an Jazzveranstaltungen in der Stadt. „Es gibt einen permanenten Zuzug von Jazzmusikern nach Berlin“, so Kathrin Pechlof, und alle wollen hier vor allem öffentlich spielen, spielen spielen. Die vibrierende, aber sich doch nur an ein überschaubares Publikum richtende Szene kannibalisiert sich also teilweise selbst. „Es gibt einfach sehr viel Konkurrenz“, meint auch Marc van der Kemp vom Sowieso.
Berlin setze weltweit Impulse in Sachen Jazz, so Kathrin Pechlof, „hier passieren die neuen Dinge“. Doch damit das so bleibt und ein verdienstvoller Laden wie das Sowieso nicht irgendwann gezwungen sein wird aufzugeben, „müsse nun mehr Geld in das System fließen“. Dazu brauche es beispielsweise eine Förderstruktur für Veranstalter. Marc Van der Kemp fällt in diesem Zusammenhang ein Problem ein, das seiner Meinung nach auch unbedingt angegangen werden muss: Eine Reform der Gema. Er habe mit seinem Club sogar einmal eine Förderung bekommen und den Spielstättenprogrammpreis Applaus gewonnen – 30.000 Euro. „Aber gleichzeitig habe ich inzwischen 80.000 Euro Schulden bei der Gema. Die verlangen von kleinen Clubs wie meinem so viel Geld, wie ich es niemals einspielen kann. Da hilft mir auch so ein Preis kaum weiter.“
Der sprichwörtliche Hut
Von dem Geld, das in das System Jazz in Berlin fließen müsse, wie Kathrin Pechlof fordert, müsse sicherlich auch einiges zur Aufbesserung der Musikergagen verwendet werden, glaubt sie. Die Einführung von Mindestgagen würde sie sich wünschen: „Dass sprichwörtlich für den Hut gespielt wird, der bei Konzerten herumgeht, ist dagegen aktuell eher die Regel in den kleinen Berliner Jazzclubs.“
Aber auch wenn für den Eintritt gespielt wird, sind die Gagen oft geradezu grotesk gering. Im Sowieso beträgt der Eintritt zwischen 5 und 15 Euro, der Besucher darf ihn in einem gewissen Rahmen selbst bestimmen. 70 Prozent gehe bei ihm direkt an die Musiker, so Marc van der Kemp. Bei 20 zahlenden Besuchern bleibt da einfach kaum etwas hängen bei den Musikern.
Es hat sich etwas Großes entwickelt in Sachen Jazz in Berlin. Niedrige Mieten haben über die letzten Jahre Musiker aus aller Welt angelockt und eine Infrastruktur von Jazzclubs ermöglicht, die einzigartig ist. Doch das alles steht auf der Kippe, wenn nun der Jazz in Berlin nicht weit stärker gefördert wird als aktuell. „Ich habe noch nie einen Politiker getroffen, der sich für das interessiert, was ich in der Nische veranstalte“, sagt Marc van der Kemp. Diesen jazzaffinen Politiker aber sollte es möglichst bald geben, sonst könnte Berlin den Titel Welthauptstadt des Jazz schnell wieder verlieren.
Wenn Berlin einem zu teuer wird
Ausbluten könnte die Szene aber auch, wenn sich die Jazzmusiker selbst Berlin ganz einfach nicht mehr leisten können. „Wenn die Entwicklung in der Immobilienspekulation in Berlin voranschreitet“, meint Axel Dörner, „würde ich es als wahrscheinlich betrachten, dass Musiker zunehmend wieder aus Berlin wegziehen und nur wenige neue Musiker sich entscheiden, nach Berlin zu ziehen, da ihnen wegen der gestiegenen Preise in Berlin ein Leben in anderen Städten oder auch auf dem Land attraktiver erscheint.“
Dann aber wäre es mit dem wunderbaren Treiben improvisierender Musiker in Berlin bald vorbei: „Die Lebendigkeit einer Jazzszene in einer Großstadt ist meiner Meinung nach langfristig unbedingt abhänging von der Fluktuation durch neu hinzukommende Musiker aus aller Welt.“
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