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Jazz-Geschichten aus der DDRSound der Unzufriedenen

In der DDR war der Jazz auch Freiraum. In der Berliner Volksbühne unterhielt sich darüber Thomas Meinecke mit Freejazz-Pionier Günter „Baby“ Sommer.

Eine nach vorn drängelnde Kraft im Freejazz: Günter „Baby“ Sommer Foto: Peter Rytz

E iner der Vorteile von Schallplatten ist ja der Umstand, dass man mit der Schallplattenhülle auch was zum Herzeigen hat – so ein CD-Booklet ist da kein Ersatz, vom hüllenlosen digitalen Stream nicht zu reden. Diese Schallplattenhüllen sind durchaus ein gewichtiges Argument in der „Plattenspieler“-Reihe, ein Gesprächsformat mit wirklich simplen Regeln: Der Moderator Thomas Meinecke lädt einen Gast ein, beide bringen Schallplatten mit, die sie sich vorspielen, und darüber geredet wird natürlich auch. Damit man was zum Gucken hat, werden die Hüllen groß an die Wand projiziert.

Lange betrieb der Autor und Musiker Meinecke seinen Plattenspieler im Berliner HAU-Theater, nun macht er das an der Volksbühne. Zum Auftakt hatte er vergangene Woche den Schlagzeuger und Freejazz-Pionier Günter „Baby“ Sommer in den großen Saal geladen. Der zeigte sich immerhin propper durchgesprenkelt mit einem doch eher älteren Publikum für eine gemütliche Plauderstunde. Manchmal verläpperte sich das Gespräch auf Abwegen und sammelte sich wieder. Schön, wie man zwischendurch in den Gesichtern der beiden älteren Herren (Meinecke ist Jahrgang 1955, Sommer 1943) so ein fast kindliches Entzücken sah, dass man gleich dem Schiller recht geben wollte mit seinem Satz vom Menschen, der nur da ganz Mensch sei, wo er (Schallplatten) spielt.

Wobei ja auch großartige Musik zu hören war. Hymnisches von Albert Ayler, Aretha Franklin und Art Blakey mit seinen Jazz Messengers. Und eindrückliche Momente der DDR-Musik, die Ulrich Gumpert Workshop Band etwa, in der sich neben Sommer die Prominenz des DDR-Freejazz sammelte. Und deren Sessions, erzählte Sommer, am Anfang immer erst eine Tauschbörse waren, für Trabant-Ersatzteile oder was eben sonst nicht auf dem normalen Geschäftsweg zu haben war in der Mangelökonomie DDR.

Und dass dieser ungebärdige Jazz der Sound der Unzufriedenen war im Land, „gegen den staatlich verordneten Gleichschritt“. Dass es die Jazzer im „Freiraum des Nonverbalen“, so Sommer, aber auch leichter hatten als die Rockbands, die immer wieder mit ihren Texten aneckten. Wie Sommer zu seinem „Baby“ kam, erzählte er auch: Mitte der Sechziger wurde er mal von einem Bandleader angepflaumt: „Willste alles neu erfinden, wie Baby Dodds?“ Dodds war der erste bedeutende Jazz-Schlagzeuger.

Zu diesen Erzählungen lieferte Meinecke manchmal ein Stichwort, ergänzte mit Musik und nutzte am liebsten die Chance, zu seinem Plattensammlerwissen von den Gastplatten noch neues Plattenwissen zu sammeln. Als etwa wieder so eine heftige Improvisation zu hören war, mit der im europäischen Freejazz alles Dahergebrachte dekonstruiert wurde. „Die Kaputtspielphase“, sagte Sommer. „Diese Musik macht mich glücklich“, meinte Meinecke.

Gemütlich ging es hin und her, abschließend erklärt wurde nichts, die Musik war toll, und verblüfft durfte man feststellen, als ein Volksbühnenmitarbeiter darauf drängte, endlich mal Schluss zu machen, dass man da bereits zweieinhalb Stunden all that jazz gelauscht hatte.

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Thomas Mauch
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1960, seit 2001 im Berlinressort der taz.
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4 Kommentare

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  • Auch in Ungarn gab es eine gute Szene. Thanks to Beherendt, der mir diese Musiker:innen alle nahegebracht hatte.

  • Zum ersten Mal hatte ich einige dieser Jazz-Pioniere bei den Donaueschinger Musiktagen in den frühen 1970ern gesehen. Joachim Ernst Behrendt hatte das organisiert. Seither immer Fan geblieben.

  • ... Manchmal verläpperte sich das Gespräch auf Abwegen und sammelte sich wieder. ..



    Kenn ick, kenn ick!



    Schöner letzter Absatz i.B..



    Jazz Geschichten aus GDR.



    ....„Es war ‚ne andere Musik. Es war nicht das, was übers Radio kam. Und da ist man halt hingefahren!“ Die DDR hatte zahlreiche Orte, an denen Jazz auf Weltniveau gespielt wurde. Den Ost-Berliner Jazzkeller Treptow!, den Jazzclub Tonne in Dresden, die Leipziger Jazztage. ...



    www.deutschlandfun...s-jazz-in-100.html



    Für mich wichtig weil das richtige Alter und Ort:



    Jazz im Paradies(Jena)-JiP



    Hier wird noch mal vieles zusammengefaßt wie es damals war:



    blog.jena.de/jenak...z-wagemut-projekt/



    Gruppe Fez - Uskeu



    www.youtube.com/watch?v=Dx4QyWb7bzQ



    Und! natürlich das- Woodstock am Karpfenteich-!



    web.archive.org/we...heft-73/rezblobel/



    Zentralquartett - Auf der Elbe schwimmt ein rosa Krokodil



    www.youtube.com/watch?v=iRZgRC6ealI

  • “ Jazz-Geschichten aus der DDR: Sound der Unzufriedenen“ - Na aber Hallo!



    “Paris. Botschaft der DDR - backstage! Allet wieder verpackt!



    Und RAAATSCH - Halt Scheiße! - KLACK! TOR ZU!!



    Scheiße die Jacke!! 'Die könnensesich in der Hauptstadt der DDR abholen!“



    “Mensch - meine Lederjacke - die Schlüssel drin! Papiere! Allet!“



    „Die könnensesich in der Hauptstadt der DDR abholen!“



    Ich - die Stöcke raus! Und „Die Kaputtspielphase“, Volle Lotte!



    Die eisernen Torstangen - vonne Kanne - rauf & runter!



    (… zweieinhalb Stunden all that jazz…??;) Nischt! Null!



    “Die Jacke könnensesich in der Hauptstadt der DDR abholen!“



    O-Ton Baby Sommer in der Bockshaut - Tage der Neuen Musik!



    “Aber jetzt war/is ja alles schlecht. Na und erst aus Cuba!



    Kistenweise Havannas für n Spottpreis!“



    & Doch Doch =>



    Schallplattenspiel gab’s auch - aber by Ekkehard Jost!



    Der regelmäßig drob einschlief. Kein Wunder - was wir abends zuvor in der Bockshaut verposematuckelt hatten!



    Nur Hans-Koller-Ziehkind Bernd Konrad spielte -



    Zirkulationssolo Sopran “Jetzt kann ich eigentlich nach Hause gehen!



    Was tolleres kann nicht mehr kommen!“



    (Glücklich machend¿ - Möglicherweise!;)



    &



    Baby Sommer - hatte Lederjacke einschließlich Schlüssel für seinen gut angejahrten lindgrünen Benz wieder am Mann! 🥢 🥁 -



    Zufriedener? Who know’s.