Jahrhundertdürre in Kapstadt: Menschen, die auf Wolken starren
In den armen Townships der südafrikanischen Stadt leiden die Menschen am meisten. Einige haben das Wassersparen zur Kunstform erhoben.
Der frische „Cape Doctor“ fegt in den Sommermonaten beständig über das sonnige Kapstadt hinweg. Dieser Passatwind kommt aus Südosten, schiebt sich um und über den Tafelberg und bildet mit Wolken das Tischtuch – dann zieht er hinunter in die Innenstadt und weiter auf den Atlantik hinaus.
Das Tafelbergmassiv ist der Ursprung des Lebens in Kapstadt: Vier Flüsse und mehr als 30 Quellströme flossen einst den Berg hinab. Das frische Quellwasser war es, dass 1652 niederländische Seefahrer anlockte, die ihre Versorgungsstation hier gründeten. Doch je mehr Kapstadt zur Metropole anwuchs, desto mehr verschwanden auch die kleinen Bäche und Flüsse. Sie wurden eingehegt, in schmutzige Kanäle gepresst, in Tunnel vergraben.
Am Kap herrscht die schlimmste Trockenheit seit hundert Jahren. Südafrika hat die Dürre in Kapstadt und anderen Teilen des Landes zur nationalen Katastrophe erklärt. Es gibt strenge Regeln für den Wasserverbrauch. Die rund vier Millionen Einwohner Kapstadts dürfen am Tag nur noch 50 Liter Wasser pro Kopf nutzen. Autowaschen und Nachfüllen der Swimmingpools sind verboten. Die meisten öffentlichen Schwimmbäder bleiben geschlossen. Wer zu viel Wasser verbraucht, muss mit hohen Geldstrafen rechnen.
Am Fuß des Tafelbergs schleppen Menschen leere Kanister durch den Spring Way im Viertel Newlands. Dort, in dichtem Gebüsch, plätschert Quellwasser vom Berg, seit Menschengedenken. Jetzt hat die Stadt eine Rohrleitung verlegt, mit mehreren Anschlüssen – zu groß war der Andrang Ende vergangenen Jahres, als die Kapstädter panikartig zu dieser Quelle fuhren, um dort frisches Trinkwasser abzuzapfen.
Kanister für jeden, der zahlt
25 Liter pro Tag sind erlaubt. Die Menschen stehen Schlange, Hunderte am Tag, Geschäftsleute, Sportler, Hausfrauen. Parkwächter haben ihren Job gewechselt und karren jetzt Kanister für jeden, der zahlt, bis zum Auto. Andere verkaufen das Wasser am Straßenrand.
In einer mobilen Station beobachten Polizisten das Geschehen. Kontrollen gibt es nicht. Manch einer holt mehrere Kanister täglich. Geduldig warten die Menschen an der Quelle, füllen das kostbare Gut ab und verschwinden wieder.
Tania Blignault hat es eilig. „Vor ein paar Wochen noch konnte ich direkt hier parken und es gab nur eine Leitung“, sagt die blonde Kapstädterin. Die drohende Stunde null, das behördliche Abstellen des Leitungswassers, die seit Ende 2017 in Kapstadt immer wieder angekündigt worden war – sie sorgte für Rangeleien an der Quelle und Aufruhr in der Bevölkerung. Der Ansturm auf Geschäfte fegte die Regale mit Wasserflaschen leer.
Der erste Stichtag für das Abstellen aller Wasserhähne in der „Mother City“ – so wird Kapstadt von den Einheimischen genannt – war für Mitte April angesagt. Dann Mai. Danach Juni. Aber wie ein Wunder ist nicht das Wasser ausgeblieben, sondern die berüchtigte Stunde null, verschoben auf unbestimmte Zeit.
„Ein ausgetüfteltes Sparsystem“
„Die Stunde null gab es gar nicht“, glaubt Tania Blignault. „Wir sollten Wasser sparen lernen. Das Problem der Dürreperiode gibt es überall auf der Welt. Wir leben in der einzigen Stadt, in der eine Stunde null angekündigt worden ist“, sagt sie. Kapstadt kam davon. Aber warum eigentlich?
„Wir haben viel Wasser gespart“, antwortet Bilquees Baker. Die Muslimin zieht ihr buntes Kopftuch über ihre leicht gräuliche Haarpracht. Sie sitzt am Küchentisch in ihrem limonengrünen Haus an einer winzigen Kopfsteinpflasterstraße. Das Haus gehört zu den farbenprächtigen kleinen Bauten im traditionellen Malaien-Viertel unterhalb des Signal Hill.
Bo-Kaap beherbergt auf engem Raum viele Abkömmlinge der ehemaligen Sklaven, die vor Jahrhunderten aus Asien an das Kap gebracht wurden. Bilquees lebt seit Jahren mit einem Weißen und ihren beiden Kindern hier, ein für Südafrika eher seltenes Paar.
Der Muezzin von der Moschee gegenüber ruft laut zum Gebet. Bilquees ignoriert die religiöse Andacht. „Komm, ich zeig dir mein ausgetüfteltes Sparsystem“, sagt sie. In der kleinen Toilette im Untergeschoss des schmalen Häuschens herrscht Chaos. Aber nur auf den ersten Blick. Der Deckel für den Toilettenkasten fehlt, die Spülung ist abgestellt. Die Waschmaschine steht wie ein Koloss daneben. Auf dem Boden der Dusche reihen sich Kanister an Kanister, leere Coca-Cola-Flaschen an Sprite-Flaschen.
„An meinen Waschtagen fange ich das Spülwasser aus dem Schlauch der Waschmaschine darin auf. Mit dem Grauwasser aus den Behältern spülen wir die Toilette“, sagt sie. „In den Info-Blättern heißt es ja: ‚Ist es gelblich, lässt es sich abklären – ist es braun, spül es runter.‘“
Bilquees passt auf, wenn die zweite Spülrunde in der Waschmaschine läuft und stoppt sie nach kurzer Zeit. „Dieses Wasser nutzen wir zum Beispiel zum Wischen.“ Ja, es ist etwas mühselig, aber Familie Baker hat sich – wie so viele in Kapstadt – an die Wasserkrise gewöhnt. „Wir sparen 40 Liter bei jedem Waschgang.“
Auf der Abrechnung wird das leider nicht belohnt, fügt ihr Mann Adam hinzu. Die Wasserpreise haben sich in kurzer Zeit verdoppelt. „Obwohl wir sparen“, sagt Adam Baker, sein langer weißer Bart berührt fast die Rechnung des vergangenen Monats. Er schimpft auf die Regierung der Westkap-Provinz, gestellt von der liberalen Oppositionspartei DA (Demokratische Allianz). „Sie hat versagt und zu spät reagiert.“
Zu wenige Stauseen
Die Opposition will schon vor einiger Zeit bei Südafrikas Regierung um finanzielle Hilfen für die notwendige Verbesserung der Wasserversorgung angefragt haben. Schließlich fällt etwa die Instandhaltung der Dämme in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung. Noch gibt es Wasser im größten der sechs Versorgungsdämme, dem Theewaterskloof-Staudamm. Aber der Pegel liegt nur noch bei rund elf Prozent und die Umgebung gleicht einer Wüstenlandschaft.
Kapstadt ist eine Winterregen-Region, und auf der Südhalbkugel steht jetzt der Winter vor der Tür. Doch der Regen war in den vergangenen Jahren unzuverlässig. Und: Das Grundproblem bleibt, auch wenn das Drama für dieses Jahr abgewendet würde. Zu wenige Stauseen, mangelnde Infrastruktur, defekte Wasserrohre, überalterte Kläranlagen sind Mitverursacher der Krise.
Adam Baker
Viele Kapstädter meinen, das sei vorhersehbar gewesen: Klimaforscher hatten schon lange errechnet, dass Jahre mit geringen Regenfällen in der Stadt gegenwärtig doppelt so häufig vorkommen wie noch vor einem Jahrhundert. Eine derartige Dürre, die bereits seit dem Jahr 2014 anhält, haben sie allerdings nicht erwartet. „Die Regierung muss handeln, die Präsidentschaftswahlen 2019 stehen vor der Tür und jetzt wälzen sie alle Schuld an der Misere aufeinander ab“, ärgert sich Adam Baker über Südafrikas Politiker.
An der belebten Waterfront, Kapstadts Ausgehviertel am Meer, geht das Leben auch während der Wasserkrise weiter. In öffentlichen Toiletten ist nur ein Wasserhahn nutzbar, der Rest ist abgestellt. Schilder weisen auf die Wasserknappheit auch in den Restaurants hin – viele Touristen haben Verständnis. Hoffnung schöpfen auch die Einwohner, dass Kapstadt eine Lösung findet.
Die für Wasser zuständige Stadträtin Xanthea Limberg ist optimistisch. Die Kapstädter hätten wirklich Wasser gespart, sagt sie. Jetzt will die Stadt die Krise nutzen: Kapstadt soll zum Vorbild für andere Städte werden. Die Erderwärmung sei Realität, sagt Limberg. „Deshalb werden wir alternative Wasserquellen nutzen. Wir bauen Entsalzungsanlagen, werden Grundwasser anzapfen und Abwasser aufbereiten.“
Die Dürre gefährdet die Obsternte
Selbst wenn die Dürre der vergangenen Jahre eine Ausnahme war – mittelfristig muss sich Kapstadt auf ein trockeneres Klima einstellen, sagt Stadträtin Limberg. Schon jetzt mussten zahlreiche Gärtnereien und Autowaschanlagen ihr Geschäft aufgeben. Auch die Obsternte könnte um 20 Prozent zurückgehen, die Weinernte um 5 Prozent, erwarten Fachleute. Rund 50.000 Arbeitsplätze sollen insgesamt aufgrund der Dürre bedroht sein.
Südafrika wird 2030 kein Wasser mehr haben, so lautet die bedrohliche Aussage des „Master-Plans“ der Regierung, der im Mai dem Kabinett vorgestellt werden soll. Laut Plan soll Südafrika in den nächsten zehn Jahren 899 Milliarden Rand (62 Milliarden Euro) in die veraltete Wasserwirtschaft investieren. Es soll weniger Wasser verbraucht werden, und es wird teurer.
Die kurvenreiche Hafenstraße Kapstadts schlängelt sich am Meer entlang nach Sea Point. Staubige gelbe Rasenflächen trennen dort das Meer von der Strandpromenade. Menschen joggen in der frischen Seeluft vorbei, gefüllte Wasserflaschen in der Hand. Möwen begleiten sie mit ihrem Geschrei. Nur ein paar Gehminuten entfernt liegt das kleine Gästehaus Rosedene wie eine kleine idyllische Oase hinter einem Tor. Zitronenbäumchen, Hibiskus und Bougainvillea wachsen am Pool.
Unter einem Dach mit Weinranken lässt es sich gut sitzen. „Die Bevölkerung in Kapstadt ist stark gewachsen – vor etwa zwanzig Jahren war die Infrastruktur für die Wasserversorgung angemessen“, sagt der deutsche Besitzer Michael Ender. Die Stauseen hätten sich nicht mehr erholt, meint er. Zusätzlich werde der Bedarf der Kommunen nicht über Steuereinnahmen finanziert, sondern die Stadt verkaufe das Wasser.
„Der Unmut wächst“
Seit der Preiserhöhung am 1. Februar hat sich der Preis verdoppelt. Ender zahlt nun rund 88 Rand für 1.000 Liter. „Das ist viel und der Unmut wächst“, sagt er. Die Politiker hätten genau gewusst, dass die Preise steigen, aber hätten still abgewartet. „Der Mittelstand soll Steuern zahlen, aber seit der korrupten Regierung von Expräsident Jacob Zuma ist das Steueraufkommen gesunken, denn es kam zum wirtschaftlichen Stillstand.“ Die Konsequenz: „Viele werden unabhängig von der Gemeinde und versorgen sich durch Bohrlöcher.“
Aber nicht jeder kann sich das leisten. Auf dem Grundstück des Gästehauses ist es diese Woche so weit: Ein Loch wird ins Erdreich gebohrt. „Mit Glück haben wir dann unser eigenes Wasser, das ist wie Roulettespielen.“ Ender ist der einzige von rund 300 Haushalten in seiner Nachbarschaft, der sich zum Bohren entschlossen hat. 100.000 Rand, etwa 6.750 Euro, kostete das Ganze. Mit Pumpen, Leitungen und Tanks kommt Ender auf 300.000 Rand für seine Unabhängigkeit, das sind mehr als 20.000 Euro.
Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.
Auf dem Dach des Gästehauses liegt schon seit 2016 ein Behälter für Regenwasser. „Damit haben wir unseren Wasserverbrauch um 29 Prozent verringert“, erklärt Ender. Der kleine Pool muss laut Gemeindeanweisung neuerdings bedeckt bleiben, damit das Wasser nicht verdunstet. Seine Gäste scheint das nicht zu stören.
Die Region lockt jährlich rund fünf Millionen Touristen an, darunter auch Hunderttausende Deutsche. Dieses Jahr sind viele Reisende ausgeblieben. Auch für den wichtigen Wirtschaftszweig Tourismus ist die Trockenheit ein Rückschlag. „Es hat zu Milliardeneinbußen im Gewerbe geführt“, sagt Ender. „Aber eigentlich trifft es doch immer stärker die Armen.“
Die Gischt bezaubert die Sinne
Von Sea Point schlängelt sich die Küstenstraße entlang des Tafelbergmassivs in den mondänen Badeort Camps Bay. Dort besitzen die Reichen aus dem In- und Ausland ihre Villen. Die Gischt der Ozeanwellen bricht sich am hellen Strand und bezaubert die Sinne.
Gäste nippen an exotischen Cocktails oder schlürfen in schicken Restaurants edle Tropfen, gewonnen aus den saftigen Reben an den Berghängen der grünen Weingüter am Kap. Kaum etwas deutet auf ein Wasserproblem hin – nur der gelbe Rasen und die abgestellten Strandduschen.
Nur ein paar Kurven weiter hinter Camps Bay auf der Küstenstraße sitzen Arm und Reich fast aufeinander. Das elende Township Imizamo Yethu liegt im sonst pittoresken Hafenörtchen Hout Bay. Wasser rinnt den staubigen Weg herunter – es ist Grauwasser aus den Haushalten, und das sind im Township meistens Bretterhütten. Eine Gruppe von Frauen in gelb-blauen Overalls zieht die Straße hinauf. Sie sind bei der Gemeinde angestellt, picken Müll an den schmutzigen Wegesrändern auf.
Das Township entstand 1993 gegen Ende der Apartheid, also der Rassentrennung, während der Südafrikas Schwarze geografisch getrennt von den anderen Volksgruppen in staubigen Elendssiedlungen leben mussten, während ein Stück weiter die Villen der Weißen mit moderner Infrastruktur standen.
Lebensgefährliche Bakterien
Noch heute sind die politischen Versäumnisse der südafrikanischen ANC-Regierung hier deutlich zu erkennen. Mehr als 20.000 Menschen leben auf 18 Hektar zusammengepfercht. Am Haarsalon wird gerade ein Eimer Wasser vor die Tür geschüttet. Gegenüber baden Kinder in der Wanne. Der Fluss Disa, der durch Imizamo Yethu fließt, hat einen lebensgefährlich hohen Gehalt an Coli-Bakterien.
Die hennarot gefärbten Haare der kleinen, rundlichen Diana Kemp leuchten in der Sonne. Die Frau will ihr Steinhäuschen zeigen, ihr ganzer Stolz. Dort lebt sie mit Tochter und Enkelkind, umgeben von Wellblechhütten. „Unser Wasser wird oft für drei oder mehr Stunden am Tag abgestellt“, sagt die 60-Jährige. Im Waschbecken liegt Wäsche, die sie in gebrauchtem Wasser wäscht. Beim Geschirrspülen in der Ecke fängt ein Kochtopf das Wasser auf – für die Toilette.
Immerhin muss sie sich nicht ein mobiles Klohäuschen teilen wie viele andere. „Wir haben solche Probleme, und dann kommen immer noch mehr Ausländer ins Township“, klagt sie über afrikanische Nachbarn, die aus anderen Ländern einwandern. „Die nehmen uns noch das Wasser weg.“
Tatsächlich ist das Wasser im Township kostenlos. Taxifahrer waschen sogar ihre Minibusse, trotz Verbots. Diana Kemp ist verärgert. „Viele sparen gar kein Wasser hier.“ Es kostet ja auch nichts. Sie hat fast ihr ganzen Leben in Hout Bay verbracht. Sie will weg aus der Armut, doch ihre Perspektiven nach dem Tod ihres Mannes sind gering.
Am Horizont erstrecken sich die fruchtbaren Täler und Wälder, in denen früher die Quellen des Tafelbergs für Wasser sorgten und Winterregen das Land mit sattem Grün überzog. Heute fällt der Blick vor Diana Kemps Bretterzaun auf das Netzgewirr der illegalen Stromanschlüsse, auf das Hüttenmeer der Armen, in dem kein Baum Schatten spendet. „Was sollen wir machen“, sagt sie ratlos und setzt, wie viele hier, auf höhere Gewalt. „Wir beten für mehr Regen.“ Diese Woche hat es endlich geregnet. Ob das reicht?
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