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Jahresbericht Mobile BeratungsstellenWas wirklich gegen die extreme Rechte hilft

Rechtsextremismus wird in Deutschland immer normaler, warnen die Mobilen Beratungsstellen. Sie fordern mehr Unterstützung für die Zivilgesellschaft.

Schöneres Stadtbild: Luftaufnahme eines Kreidebildes zu Beginn des „Wir-Festivals“ in Halle an der Saale Foto: Steffen Schellhorn/imago

Die Buchhändlerin Theresa Donner aus Halle weiß, wie man den Rechtsruck entgegentritt. Als bekannt wurde, dass in ihrer Stadt eine extrem rechte Buchmesse stattfinden sollte, handelte sie schnell. Gemeinsam mit anderen Buchhändlerinnen und Kulturschaffenden rief sie das „Wir-Festival“ ins Leben. Von September bis November boten über 400 Lesungen, Theateraufführungen und Konzerte ein Gegenangebot, das viele Menschen anzog.

Am dem Festival sei man in Halle kaum vorbeigekommen, berichtet Donner: In fast jedem Schaufenster der Innenstadt prangte das Logo der ehrenamtlich organisierten Veranstaltung. „Statt der üblichen ‚Links gegen rechts‘-Proteste haben wir ein offenes, niedrigschwelliges Angebot geschaffen.“ Zusammenhalt entstehe eher, wenn man etwas aufbaue, statt nur „dagegen“ zu sein, erklärt sie.

Das Festival habe ihr Mut gemacht – auch mit Blick auf die Landtagswahlen 2026 in Sachsen-Anhalt, wo die AfD derzeit in den Umfragen weit vorne liegt. „Zwischen links und rechts gibt es eine breite politische Mitte, die sich nicht als politisch aktiv bezeichnen würde, sich aber durchaus für unsere demokratischen Werte einsetzt, wenn man sie nicht instrumentalisiert, sondern teilhaben lässt“, sagt Donner. Beim Aufbau des Festivals hätten zivilgesellschaftliche Vereine geholfen. Das sei angesichts bürokratischer und juristischer Hürden entscheidend gewesen, um überhaupt starten zu können.

Vereine, die Engagement wie in Halle fördern, sind in den Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus aktiv. Am Dienstag legten sie ihren Jahresrückblick 2025 vor. Titel: „Wie sich Rechtsextremismus im Alltag festsetzt und Engagierte dagegen halten“. Das „Wir-Festival“ in Halle gilt als Beispiel dafür, wie man trotz Rückschlägen Widerstand leistet. Ein weiteres Beispiel seien die vielen CSDs, die auch in kleineren ostdeutschen Städten stattfanden, sagt Romy Arnold vom Bundesverband.

Zunehmend junge und gewaltbereite Neonazi-Gruppen

Trotz solcher Erfolge fällt die Bilanz für 2025 ernüchternd aus. „Die Normalisierung des Rechtsextremismus hat ein neues Ausmaß erreicht“, sagt Arnold. Auch demokratische Parteien trügen Verantwortung, weil sie rechte Narrative übernommen und die Brandmauer aufgeweicht hätten. Besonders junge Menschen radikalisierten sich. Neonazis träten selbstbewusster auf, in manchen Schulen dominierten rechte Gruppen. Rund 200 Beraterinnen und Berater aus 50 Stellen berichteten, dass gewaltbereite Neonazi-Gruppen zunehmend aktiv seien.

Zugleich verschlechtern sich die Bedingungen für die Zivilgesellschaft, so Arnold: Durch Angriffe auf demokratische Vereine und Initiativen unter einer von Rechten orchestrierten Kampagne unter dem Stichwort „NGO-Komplex“, die auch von demokratischen Parteien aufgegriffen worden sei, stünden zivilgesellschaftliche Strukturen unter Druck. Förderprogramme wie „Demokratie leben“ und Landesprojekte würden Kürzungen drohen, teils hätten Kommunen mit AfD-Beteiligung diese bereits durchgesetzt.

Dabei verzeichnen die Beratungsstellen einen Höchststand an Anfragen von Menschen, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren wollen. „Mit den aktuellen Mitteln kommen wir kaum hinterher“, warnt Arnold. „Die demokratische Zivilgesellschaft ist das Rückgrat unserer Demokratie und braucht dringend politische Unterstützung.“

Auch der Soziologe Matthias Quent, Leiter des Instituts für demokratische Kultur an der Hochschule Magdeburg-Stendal, betont die Bedeutung einer starken Zivilgesellschaft. Sie sei der Kitt, der politische Konflikte in Krisenzeiten aushandle. „Ihre Angebote und Räume müssen erweitert und in ihrer Unabhängigkeit gestärkt werden“, forderte Quent.

Der Atlas der Zivilgesellschaft und auch der aktuelle Engagementbericht der Bundesregierung zeigten, dass die Zivilgesellschaft in Deutschland nicht mehr als offen, sondern als eingeschränkt gilt. Gründe seien staatliche Eingriffe, Rechtsunsicherheiten und rechtsextreme Angriffe. „Die Politik muss alles tun, um weitere Verunsicherung zu vermeiden“, mahnt Quent. Gerade für junge Menschen könnten partizipative Angebote wie das „Wir-Festival“ helfen, autoritären Tendenzen entgegenzuwirken.

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