Jagdbeute zum Selberzüchten: Ausgesetzt und frei zum Abschuss
Im Landkreis Nienburg werden offenbar Entenküken ausgesetzt und angefüttert, um sie später zu jagen. Richtig illegal ist das in Niedersachsen nicht.
Das Video stammt vom Verein Pro Fuchs – und zeigt dem Verein zufolge Entenküken, die von Jägern ausgesetzt wurden. Insgesamt rund 70 Enten, so vermutet Vereinssprecher Johann Beuke, habe man in dem Gewässer bei Uchte in Nienburg ausgewildert. Der Zweck dahinter, so sein Vorwurf: eine fette Beute für die Jagd im Herbst.
„Entenstrich“ heißt eine Jagdform, bei der sich Jäger*innen zur Dämmerung rund um ein Schlafgewässer der Enten verteilen. Wenn die Enten dann in langer Strichformation zur Nachtruhe nach Hause fliegen, wird geschossen. „Alljährlich“, schreibt das Jägermagazin im Dezember 2021, „fiebert der passionierte Niederwildjäger dem abendlichen Entenstrich entgegen, wo er die Früchte seiner Hege erntet“.
„Hege“, meint Beuke von Pro Fuchs, „das klingt so positiv, nach Naturschutz irgendwie. Aber es heißt nur, dass im Frühjahr gesät wird und im Herbst dann geerntet. Das ist blutig und wild“, so der Jagdkritiker.
Aussetzen und anfüttern ist erlaubt
Das Vorgehen bringt laut Pro Fuchs, dem Tierschutzbund und dem Wildtierschutz Deutschland zahlreiche Probleme mit sich. Für Privatpersonen ist Entenfüttern verboten – Gewässer, in die zu viele Nährstoffe eingetragen werden, können veralgen und biologisch umkippen. Die Hobbyjäger, die für die Bejagung eines Areals Gebühren zahlen, füttern aber durchaus: Das Video von Pro Fuchs zeigt eine große Tonne mit Körnerfutter, an der sich die Enten bedienen können. Am Uferrand liegt ein weiterer großer Haufen mit Futter.
Verboten ist das Prozedere nicht: Nicht einmal eine Genehmigung müssen die Jäger*innen nach dem niedersächsischen Jagdrecht einholen, solange sie nur Federwild auswildern. Auch das Anfüttern ist erlaubt, um die Tiere einzugewöhnen.
Wildarten „stabilisieren“, um sie jagen zu können
Bloß: Warum? Das zuständige Landwirtschaftsministerium begründet das legale Aussetzen mit „der Stabilisierung bestimmter Wildartenpopulationen, zum Beispiel durch genetische Auffrischung“. Ähnlich argumentiert man bei der Landesjägerschaft Niedersachsen.
Der Artenschutz steht dabei aber nicht im Zentrum: „Das Jagen ist für die meisten Jäger nicht Beruf, sondern Freizeitbeschäftigung und Leidenschaft“, so Verbandssprecher der Landesjägerschaft, Florian Rölfing. „Natürlich geht es beim Auswildern dann auch darum, dass der Bestand mittelfristig bejagt werden kann.“
„Mittelfristig“, das heißt im niedersächsischen Jagdgesetz: Zwischen Aussetzen der Küken und der Jagd auf die Enten müssen sechs Monate vergehen. Da das Aussetzen selbst aber nicht genehmigungspflichtig ist, ist das in der Praxis nicht zu überprüfen. Nach Jagdgesetz dürfen Jäger*innen von den meisten Wildtierarten ohnehin so viel oder wenig Wild schießen, wie sie es selbst für richtig halten.
Beuke hat trotzdem Anzeige bei der Unteren Naturschutzbehörde und der Unteren Wasserschutzbehörde erstattet. Pro Fuchs vermutet, dass es sich bei dem Areal in Uchte um eine besonders geschützte Ausgleichsfläche handelt. Der Landkreis hat keine Aufzeichnungen darüber – ganz sicher ist man sich aber nicht.
Gerichtsurteil gegen das Aussetzen von Enten
Die Naturschutzbehörde jedenfalls hat den Fall erst einmal nicht als ihren eigenen eingeschätzt – und die Prüfung an die Jagdbehörde weitergegeben. „Schon das ist eine Verzögerungstaktik“, sagt Thomas Mitschke vom Verein Wildtierschutz. „Bei Gefahr in Verzug hat die Behörde sofort einzuschreiten. Es geht hier immerhin auch um Gewässerschutz.“
Sein Misstrauen gegenüber der Bearbeitungszeit des Antrags fußt auf seiner eigenen Erfahrung. Vor einigen Jahren war er gegen ähnliche Ansiedlungen von Enten in noch größerem Ausmaß vorgegangen. Rund um Lüdersburg hatte eine Jägerin und Hotelbetreiberin damals alljährlich tausende Enten an sieben Teichen in dem von ihr gepachteten Jagdrevier ausgesetzt.
Am Ende hatte ein Gericht zwar Auflagen für die massenhafte Auswilderung der Enten ausgesprochen. „Aber bis dahin sind Jahre vergangen. Die Jagd im Herbst konnte noch an mehreren Orten stattfinden“, klagt Mitschke.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?