Kommentar: Ja, Einkaufen
■ Es hat wenig Sinn, den Ladenschluß zu verteidigen
Gesellschaftliche Realitäten und neue Bedürfnisse der Bevölkerung setzen sich durch – ob einem das gefällt oder nicht. In nicht allzu ferner Zukunft wird es den HändlerInnen am Potsdamer Platz gelingen, ihre Geschäfte über den bisherigen Ladenschluß hinaus geöffnet zu halten – in der Woche bis 22 Uhr und auch nachts, samstags und sonntags. Sie sind nicht die einzigen, die das versuchen. Bundesweit hat die Wirtschaftslobby zum Sturm auf die bisherige Regelung geblasen, und Berlin ist die Speerspitze des Angriffs. Der Senat genehmigt schon jetzt Ausnahmeregelungen, im Bundesrat ist eine entsprechende Initiative anhängig, und Medienverkäufer Dussmann fallen immer wieder Tricks ein, dem permanenten Konsum Bahn zu brechen.
Aber der Druck kommt nicht nur von dieser Seite. Wen man auch fragt: Die meisten Menschen wollen zumindest die Möglichkeit haben, zu jeder Tages- und Nachtzeit zu shoppen. Das kulturkritische schlechte Gewissen verleidet mitunter die Freude am Konsum, doch dieser ist lange nicht mehr so verpönt wie einst.
Und wo soll der Schaden liegen? Sind die Geschäfte am Potsdamer Platz sonntags geöffnet, lassen dort vor allem TouristInnen ihr Geld, das sie sonst in ihren Portemonnaies wieder nach Hause tragen würden. Die wenigsten Leute aus Treptow oder Schöneberg werden am siebten Tag am Marlene-Dietrich-Platz ihren Wocheneinkauf erledigen und damit den Geschäften in ihren Stadtteilen die Grundlage entziehen.
Fällt der Ladenschluß, werden die Geldströme umgelenkt in die Kassen der großen Kaufhäuser und der Geschäfte in den guten Lagen, worauf der Mittelstand in den Wohnquartieren kippt. Das ist ein Argument gegen die Liberalisierung, das sich nicht von der Hand weisen läßt. Doch bieten sich nicht auch Chancen? Neue Marktlücken und Verdienstmöglichkeiten dort, wo bislang Konsumwüste herrschte? Der Fischhändler um die Ecke würde mitunter mehr einnehmen, wenn er seinen Laden vormittags geschlossen hielte, um dann bis 22 Uhr diejenigen Spätesser zu versorgen, denen lange Arbeit soviel Spaß macht. Das Ende des Ladenschlusses am Potsdamer Platz wäre ein Dammbruch, aber keine Katastrophe. Hannes Koch
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