JUSTIZ: Randale-Prozess mit offenem Ausgang
Als am 2. Februar 2011 das linke Hausprojekt Liebig 14 geräumt wurde, kippte die Stimmung. Seit gestern stehen sechs junge Männer vor Gericht.
Die Spur der Verwüstung, wie die Anklage sie zeichnet, ist immens: eingeworfene Scheiben von Banken und Supermärkten, zerschlagene Bushaltestellen und Werbesäulen, auf die Straße gezerrtes Baustellenmaterial, Steinwürfe auf Polizeiautos, Beamte und einen BVG-Bus. „Gewalttätigkeiten gegen Menschen und Sachen in besonders schweren Fällen“, konstatiert Staatsanwalt Martin Laub. Die sechs jungen Angeklagten vor ihm, die das mitverursacht haben sollen, folgen seinen Worten unbeteiligt.
Am Mittwoch begann vor dem Amtsgericht Tiergarten der wohl letzte Prozess rund um die Räumung des Hausprojekts Liebig 14 in Friedrichshain vor zwei Jahren. Und das in großem Format: 20 Verhandlungstage sind angesetzt, zwei Verteidiger hat jeder Angeklagte mit in den Saal 700 gebracht, den größten im Haus.
Mehrere Stunden brauchte die Polizei im Februar 2011, um das verbarrikadierte Haus zu räumen, 2.000 Linke gingen danach auf die Straße. Aus einer Spontandemo wurde am Abend massive Randale, bei der Autonome in Kleingruppen stundenlang durch Friedrichshain zogen.
Von „blinder Zerstörungswut“ und Millionenschäden sprach anschließend der damalige Polizeipräsident Dieter Glietsch. 82 Festnahmen verzeichnete die Polizei. Die sechs Männer, die am Mittwoch im Amtsgericht sitzen, sind Studenten und Auszubildende, Mittzwanziger, in Kapuzen- oder Streifenpullovern, einer mit grünen Haaren.
Dass sie, so die Anklage, in einer Gruppe von etwa 150 Leuten mitrandaliert hätten, bestreiten sie. Aussagen wollen sie hingegen nicht. Stattdessen verliest einer von ihnen, Thomas O., eine Erklärung: „Der Kampf gegen Verdrängung ist aktueller denn je.“ Die Liebig 14 sei ein Traum von einer anderen Welt gewesen, die Anklage „willkürlich“ und Schikane. Seit fast zwei Jahren müssten sie sich zweimal wöchentlich bei der Polizei melden, um nicht in U-Haft zu landen, so der 26-Jährige. „Es geht nur um Repression.“ Freunde auf den Zuhörerbänken applaudieren, der Staatsanwalt schmunzelt.
Die Verteidiger halten auch die Beweise für haltlos. Einzig zwei Zivilpolizistinnen wollen die Beschuldigten bei Steinwürfen beobachtet haben. „Über mehrere Stunden haben sie die sechs in einer so großen Gruppe genau beobachtet?“, zweifelt Anwalt Sven Lindemann. Er kritisiert auch die „nahezu identischen“ Aussagen der Beamtinnen. Offenbar hätten sich beide abgesprochen.
Die Anwälte haben noch einen Trumpf: Erst vor anderthalb Wochen hob das Landgericht eine achtmonatige Bewährungsstrafe für einen jungen Mann auf und machte daraus einen Freispruch. Auch ihn hatten die beiden Polizistinnen beschuldigt, auch er stritt ab. Im Zweifel für den Angeklagten, befand das Landgericht. Auch weil die Aussagen der Frauen unstimmig gewesen seien. Er könne nicht ausschließen, dass das aktuelle Verfahren noch eingestellt werde, sagte denn auch Staatsanwalt Laub.
Die Liebigstraße 14 ist heute wieder vermietet, erste Neubewohner zogen bereits vier Monate nach der Räumung ein. Für die linke Szene blieb das Haus ein Reizobjekt: Immer wieder flogen Farbbeutel und Steine. Auch für den zweiten Jahrestag der Räumung am 2. Februar organisieren Exbewohner Protest: Direkt vor dem Haus soll eine „Zombie-Kundgebung“ stattfinden. „Immer noch werden Mieter und linke Hausprojekte gekündigt“, heißt es in ihrem Aufruf. Es bleibe „wichtig, Investoren und Politikern zu zeigen, dass ihre Probleme mit einer Räumung längst nicht vorbei sind“. Das klingt dann nicht viel anders als die Erklärung der sechs im Saal 700.
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