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J. M. Coetzees Roman „Der Tod Jesu“Sorge um den Messias

Vom Tod Jesu erzählt Nobelpreisträger J. M. Coetzee im letzten Band seiner Jesus-Trilogie – nicht gerade fromm und unbedingt lesenswert.

Im Romantext fällt der Name „Jesus“ an keiner Stelle Foto: Hanla Steidle/plainpicture

Als der britische Dichter W. H. Auden 1938 durch die Musées royaux des Beaux-Arts in Brüssel wandelt, hat er den Glauben an die Künste fast schon verloren: „Technisch atemberaubend, aber worum geht es schon bei Rubens?“, fragt er später in einem Brief.

Augenöffner hingegen, und davon schreibt Auden ein Jahr später im Gedicht „Musée des Beaux Arts“, sind ihm dann die Gemälde von Pieter Bruegel – denn die Alten Meister hätten, so heißt es im Gedicht, die menschliche Position des Leidens erfasst: dass es sich ereignet, während nebenan das triviale Leben weitergeht – und sich einen Dreck schert.

Als Beispiele nennt Auden in diesen Zeilen unter anderem Bruegels Bilder vom Sturz des Ikarus – und vom Heilsgeschehen Jesu: „Dass, während die Alten ehrfürchtig und gespannt / die wundersame Geburt erwarten, Kinder immer dabei sind, denen nicht viel daran liegt, und die / Schlittschuh auf einem Teich am Waldrande laufen / (…) dass selbst das grausame Martyrium stattfinden muss / irgendwo abseits an unsauberem Ort, / wo die Hunde sich hündisch benehmen.“

Von einem solch schonungslos, nämlich schmutzig geerdeten, seiner papierenen Erhabenheit beraubten Tod Jesu erzählt auch der Nobelpreisträger J. M. Coetzee im finalen Band seiner nicht gerade frommen, aber unbedingt lesenswerten Jesus-Trilogie: „Der Tod Jesu“ – nicht bloß, weil es auch dort einen Hund am Sterbebett gibt, Bolívar.

Das Buch

J. M. Coetzee: „Der Tod Jesu“. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer, Frankfurt am Main, 224 Seiten, 24 Euro

Aber der Reihe nach: Von der Geburt Jesu haben wir bei Coet­zee nie etwas erfahren. Überhaupt fällt der Name Jesus im Romantext selbst nie. Das Kind heißt David, seine Zieheltern sind Inés und Simón. Doch legen die drei Romantitel es nahe, die Analogie Jesus/David zu ziehen, zumal der Messias auch in den Evangelien als einer aus dem Hause Davids definiert ist.

Die Heilige Familie als Flüchtlinge

Auf einem Flüchtlingsschiff kommen David und Simón bei Coetzee im Hafen eines namenlosen spanischsprachigen Landes an. Ein Leben davor muss es wohl gegeben haben, aber sie können sich beim besten Willen nicht daran erinnern, von der Geburt ganz zu schweigen.

Dass auch die Heilige Familie eine Flüchtlingsfamilie war, das kann man aus der Bibel wissen. Dass die Heilige Familie aber in einer Welt unterwegs gewesen wäre, in der notfalls Sozialversicherungsnummern gefälscht werden, um medizinische Grundversorgung der Flüchtenden zu gewährleisten – das gibt es wohl nur bei Coetzee. Und vielleicht im echten Leben.

Die Bibel schweigt weitgehend von der Kindheit und der Jugend Jesu, bis auf wenige Episoden. So hatte Coetzee bei der postmodernen Überschreibung der Jesus-Vita in seinen ersten beiden Bänden ohnehin großen Leerstellenfreiraum. Aber keine Sorge: Er nimmt ihn sich auch sehr kontrabiblisch im Finale.

Jesus mag kein Rechnen

Dass Jesus seinen Eltern Sorgen machte, wird auch in der Bibel angedeutet, aber da ging es wohl eher um sein Verschwinden im Tempel als Zwölfjähriger. Bei Coetzee sind Jesus das kleine und das große Einmaleins zuwider, überhaupt die Rechenschieberei, weshalb er mit keinem Matheunterricht klarkommt. Aber wohl aus Gründen, die nicht gerade 08/15-Grundschul-Mathefrust sind, es sind philosophische.

Deshalb wechselt er zur Tanzakademie, wo seine Lieblingslehrerin vergewaltigt und erdrosselt wird – vom Museumswärter Dimitri, auf den David, trotz allem, kein schlechtes Wort kommen lässt. Eine übermenschliche, eine unmenschliche Fähigkeit zum Verzeihen deutet sich an. Lesen lernt David mit dem einzigen Buch, das er je lesen will; nein, nicht der Bibel, sondern „Don Quixote“, dem prototypischen Roman.

Nun, im finalen Band, also beharrt David, der schwer zu liebende Dickkopf, inzwischen zehn Jahre jung, darauf, ins Waisenheim zu ziehen, nicht bloß, um auch in dessen Fußballteam zu spielen. Ein Schlag ins Gesicht, ins Selbstbild von Simón, der seinen Ziehsohn immer zu verstehen suchte. Im Roman sehen wir David großteils durch die Augen Simóns, der es gut meint.

Der Plot steht unter Blasphemieverdacht

Doch vielleicht überblickt dieser die Handlung ja nicht minder unzuverlässig wie der mutmaßliche Mörder Dimitri, der behauptet, die überforderten Ärzte im Klinikum hätten David das Blut abgepumpt, bis er verstarb?

Zumindest unternimmt Coetzee auf den letzten Metern noch so einiges in seinem unter Blasphemieverdacht stehenden Plot, um an der Perspektive Simóns Zweifel anzumelden: Den einstigen Tanzakademie-Mitschülern war nämlich ein ganz anderer David begegnet als der, den Simón sah. Und sie beginnen, Tiere freizulassen und sich in leicht grotesken, doch ernstgemeinten Festspielen aus David-Szenen an dessen bemerkenswertes Wesen zu erinnern.

Coetzee rüttelt uns in seinem magisch-realistischen, verspielten Text wach: Könnte es sein, dass ein Leben, dass ein Leiden, dass ein Sterben sehr dicht vor uns geschah und wir zu blind waren, es zu sehen, weil wir uns zu sehr verstrickt meinten in die Trivialitäten, die erledigt werden mussten, scheinbar? Coetzee fährt ein Finale auf, das der Trilogie einen würdigen Abschluss verpasst, gerade durch die Freude unterlaufener Fährten – und abermals neuer Fragen, die sich stellen.

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2 Kommentare

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  • Jesus und seine Herkunftsfamilie war keine Familie auf der Flucht, wie der Nobelpreisträger J. M. Coetzee im letzten Band seiner Jesus-Trilogie erzählt, sondern sie erlebten in einer Zeit römischer Besatzung und Grenzziehungen in Palästina, Syrien die normale Geschichte des Volkes der Hirten, die ihren Schafen auf der Suche nach Weiden folgen, ist die Geschichte wanderndes Volk, sind Handwerker, Zimmerleute, Schmiede, Propheten, Prediger. Heiler. Quacksalber, Marktschreier Wandervolk, das tagsüber seine Nachrichten Kunde, Heilsversprechen, Verheißungen, Dienste in Stadt und Land urbi et orbi anbietet, das gegen Abend vor die Befestigungsmauern einer jeden Stadt getrieben wird, unter freiem Himmel zu nächtigen, dort seine Notdurft zu verrichten, weil dort innerhalb der Stadtmauern weder Verweilen durch die Nacht noch Herberge für sie ist. In jenen Zeiten lebt die Mehrheit der Menschen an sich nicht sesshaft, sondern auf Broterwerb durch Wanderschaft angewiesen. Angewiesen darauf, dass es durchlässige Grenzen zwischen Römischem Reich seinen Provinzen an der Peripherie und anderen Imperien gibt.

    • @Joachim Petrick:

      Wen interessieren denn historische Fakten (oder auch nur Erzählungen aus erster bis dritter Hand), wenn er die Freiheit der Interpretation hat - und ein Publikum an seiner Seite, das jedem Erzähler in kindlicher Naivität glauben möchte, wenn er nur das in seiner Geschichte verarbeitet, was der Erwartungshaltung des Publikums entspricht und es also bestätigt und sichert in seiner Existenz?