Italienischer Komiker & Blogger Grillo: "Politik beginnt im Supermarkt"
Sein Blog gehört zu den Top Ten der Welt und machte den italienischen Starkomiker Beppe Grillo zum Anführer der außerparlamentarischen Opposition. Sein Ziel: "Politik von unten".
taz: Herr Grillo, Sie nennen sich "Detonator", weil Sie die italienische Politik sprengen möchten. Wie stellen Sie sich das vor?
Beppe Grillo: Wir können nicht mehr unsere Politiker beauftragen, wir müssen beginnen, selbst zu entscheiden.
Sollen die Bürger die Politiker ablösen?
Politik beginnt im Supermarkt. Dort kann ich entscheiden, ob ich Produkte aus der Region kaufen möchte oder Lebensmittel, die aus fernen Ländern kommen. Es ist Politik, ob ich mit Auto fahre oder öffentliche Verkehrsmittel benutze. Wir können uns bewusst für die Langsamkeit entscheiden und gegen den Ausbau eines Hochgeschwindigkeitszugs sein. Sauberes Trinkwasser, Mülltrennung statt Müllverbrennung und erneuerbare Energien - dafür kämpfen wir.
Mit welchen Mitteln?
Durch meinen Blog und mein Netzwerk sind überall Meet-ups entstanden. Sie sind soziale Netzwerke für Bürger, die täglich Politik betreiben wollen. Das Ziel ist, unsere Städte zu Fünf-Sterne-Städten zu machen, in denen die Lebensqualität sehr hoch ist, wie in Fünf-Sterne-Hotels. Auf diese Art und Weise nehmen die Bürger ihre Stadt wieder in die Hand. Das nenne ich eine Politik von unten.
Einige Mitglieder Ihres Netzwerks kandieren Mitte April bei den Kommunal- und Regionalwahlen, die zusammen mit den Parlamentswahlen stattfinden. Was wollen Sie erreichen?
Wir erwarten keine großen Ergebnisse. Aber ich will Ihnen an einem Beispiel erklären, worum es uns geht: Auf Sizilien kandidiert Sonia Alfano, die Tochter eines von der Mafia ermordeten Journalisten. Alfano ist sehr kämpferisch und entschlossen und hat schon viele Angebote anderer Parteien zurückgewiesen. Jetzt ist sie bei uns. Auf Sizilien sollen die Menschen wieder die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit spüren.
Das tun sie im Moment nicht?
Nein. Zum Beispiel ist der bisherige Regionalpräsident Salvatore Cuffaro wegen Begünstigung verschiedener Mafiosi zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Aber er wird keinen Tag im Gefängnis verbringen, sondern als Senator ins Parlament einziehen.
Warum treten Sie dann nicht bei den Parlamentswahlen an?
Wir kandidieren nur bei den Kommunalwahlen und in einigen Regionen, weil dort die wahre Politik betrieben und über das Leben der Bürger und die Zukunft der Städte entschieden wird. Die Parlamentswahlen interessieren uns nicht. Wir möchten, dass nur junge Leute kandidieren. Einer wie Berlusconi kann nicht über die Zukunft entscheiden. Er ist 72 Jahre alt!
In den Umfragen liegt er dennoch vorne. Warum wollen viele Italiener ihn wieder als Ministerpräsidenten?
Das größte Problem Italiens ist die Kontrolle der Informationen. Wir sind auf der 84. Stelle in der Weltrangliste der Informationsfreiheit. Berlusconi besitzt 3 Fernsehsender und 40 Zeitungen und Zeitschriften. Er kontrolliert die Medien und kann die Wahl für sich entscheiden. Wenn sich die Leute eher über das Internet informieren würden, hätte Berlusconi keine Chance.
Im September 2007 haben Sie den V-Day, den "Leck-mich-am-Arsch-Tag" organisiert, an dem sich Menschen in 250 Städten beteiligten. Was war Ihr Ziel?
350.000 Bürger haben eine Gesetzesinitiative mit dem Namen "Sauberes Parlament" unterschrieben. Im Parlament sitzen derzeit 24 Abgeordnete, die rechtskräftig verurteilt worden sind, und 74, gegen die ermittelt wird. Schon vor vier Jahren wollten wir die Namensliste veröffentlichen, aber niemand wollte sie drucken. Daraufhin haben wir haben eine Seite der Zeitung Herald Tribune gekauft und die Liste dort veröffentlicht. Durch das Netz haben wir sie verbreitet.
Was soll mit diesen Leuten geschehen?
Mit der Gesetzesinitiative fordern wir, dass rechtskräftig verurteilte Politiker nicht mehr Abgeordnete werden können und dass die Amtszeit der Abgeordnete auf zwei Wahlperioden beschränkt wird. Außerdem möchten wir, dass die Menschen und nicht die Parteien entscheiden können, welchen Kandidaten sie aufstellen.
Die italienischen Parteien machen ihren Wahlkampf in ganz Europa. Sie auch?
In ganz Europa sind Meet-ups entstanden, unter anderen in Köln. Der nächste V-Day wird am 25. April dort stattfinden.
Dass Sie so viele Menschen erreichen, liegt zweifellos auch an Ihrem Blog. Was ist das Besondere daran?
Mein Blog wird etwa 160.000-mal pro Tag angeklickt, und man kann ihn in Italienisch, Englisch und Japanisch lesen. Hier können Sie sich über alle unsere Initiativen informieren. Und Sie finden Informationen, die Sie woanders nicht bekommen. Zum Beispiel über Umweltskandale und Weltkonzerne, die schmutzige Geschäfte machen und mit dem Leben der Bürger spielen.
INTERVIEW: ANGELA SINESI
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