Italien nach der Europawahl: Plebiszit für die Linksregierung
Berlusconi verliert und auch die Protestbewegung Beppe Grillos bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Premier Renzi darf sich als Wahlsieger fühlen.
ROM taz | „Historisch“ nannte noch am Wahlabend Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi das Ergebnis – und er griff dabei nicht zu hoch. Seine gemäßigt linke Partito Democratico (PD) trug mit 40,8 Prozent einen wahren Erdrutschsieg davon. Renzi gelang damit das Kunststück, als Regierungschef einen überzeugenden Vertrauensbeweis zu erhalten – und dies ausgerechnet in einem der Hauptkrisenstaaten Südeuropas.
Hauptgegenspieler Beppe Grillo, Chef der Protestformation MoVimento5Stelle (M5S) musste dagegen mit 21,2 Prozent einen Flop hinnehmen, während das Votum für Silvio Berlusconis Forza Italia (FI) mit 16,8 Prozent zum Debakel wurde.
Weniger der Kampf zwischen den Parteien als der Dreikampf zwischen den Protagonisten Renzi, Grillo und Berlusconi hatte den gesamten Wahlkampf in Italien geprägt. Im Vordergrund hatte dabei eindeutig die Innenpolitik gestanden. Für Renzi nämlich war die Europawahl ein erster, zugleich aber auch ein womöglich entscheidender Test. Er hatte erst im Dezember 2013 die Führung der damals völlig demoralisierten und zerrissenen PD übernommen. Einer PD, die noch unter der Katastrophe bei den Parlamentswahlen vom Februar 2013 litt: Damals war ihr ein klarer Sieg verheißen worden; stattdessen aber hatte sie unter dem seinerzeitigen Chef Pierluigi Bersani bloß 25, die von ihr angeführte Linksallianz lediglich 30 Prozent eingefahren.
Vor allem stand die PD unter dem Schock des Sensationserfolgs der 5-Sterne-Bewegung unter Grillo. Sie hatte sich bei den Wahlen 2013 aus dem Stand auf 25 Prozent der Stimmen katapultiert. Sie hatte das Gros der Unzufriedenen in dem von der Euro-Krise gebeutelten Land hinter sich versammelt, mit dem griffigen Slogan gegen die alte politische Klasse „Alle ab nach Hause“.
Zur Not raus aus dem Euro
Renzi seinerseits hatte sich daraufhin als einziges Gegengewicht zu Grillo inszeniert. So gewann der 39-jährige Florentiner erst die Urwahlen in seiner Partei, deren gesamte alte Führung er in die Wüste schickte. Anschließend stürzte er Ende Februar 2014 den Parteifreund Enrico Letta als Regierungschef, um selbst an dessen Stelle zu treten.
Damit war von vornherein klar, dass die EP-Wahl vor allem zum Votum über die Regierung Renzi würde. Ganz auf diese Karte setzte Beppe Grillo. Er stellte seine Kampagne unter den unbescheidenen Titel „Vinciamo noi!“ („Wir siegen!“). Vergemeinschaftung der Schulden in der Euro-Zone, Kündigung von Stabilitätspakt und Fiskalpakt, zur Not raus aus dem Euro: Dies war die Linie, mit der Grillo ganz auf die tiefe Unzufriedenheit, ja Depression großer Teile der Wählerschaft setzte. Nach einem Wahlsieg wollte er umgehend Staatspräsident Giorgio Napolitano aus dem Amt jagen und die Auflösung des Parlaments erzwingen, um auch nach der nationalen Regierung zu greifen.
Renzi seinerseits spielte die Karte des entschlossenen Neuerers, auch wenn er im Senat nur eine schwache Mehrheit hat und auf rechte Koalitionspartner angewiesen ist. Zuerst verteilte er ein recht kräftiges Steuergeschenk an die unteren und mittleren Einkommensgruppen, die von Mai an 80 Euro monatlich mehr in der Lohntüte haben. Außerdem schob er eine Wahlrechtsreform genauso wie die Reform der politischen Institutionen an. Dennoch agierte er in ausgesprochen schwierigem Umfeld: Immer neue Korruptionsskandale, dazu eine weiter in Stagnation verharrende Wirtschaft standen gegen die Aufbruchstimmung.So mancher Meinungsforscher sagte gar ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Renzis PD und Grillos M5S voraus.
Kein friedlicher Umsturz
Umso sensationeller war das Ergebnis vom Sonntagabend. Nie seit ihrer Gründung im Jahr 2007 hatte die PD mehr als 33 Prozent erreicht, nie hatte eine links der Mitte stehende Partei seit 1945 in Italien sich auch nur der 40-Prozent-Marke genähert. Die Wahl wurde so zum wahren Plebiszit für Renzi. Zugleich darf Grillo sich abgestraft fühlen: Die PD ist fast doppelt so stark wie die M5S, deren Träume vom friedlichen Umsturz damit vorerst begraben sind.
Begraben sind auch die Hoffnungen Berlusconis. Er fuhr trotz in Italien zur Zeit recht populärer Anti-Merkel-Rhetorik das schlechteste Resultat seit seinem Einstieg in die Politik 1994 ein. Auf der Rechten darf sich nur die Lega Nord freuen, die unter ihrem neuen Chef Matteo Salvini den Schulterschluss mit Marine Le Pen vollzog und den Ausstieg aus dem Euro zum Wahlziel Nummer eins machte: Sie gewann gut 6 Prozent.
Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Wahl insgesamt die Linke klar vorn sieht. Neben der PD schafft auch die „Liste Tsipras für ein anderes Europa“, ein Sammelbecken der versprengten radikalen Linken, mit akkurat 4 Prozent gerade noch den Einzug ins EP.
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