■ Israels Premier Ehud Barak ist fest entschlossen, den Nahen Osten zu befrieden. Erst einmal möchte er jedoch einen zeitlichen Aufschub für die Umsetzung des Wye-Abkommens. Dabei kam ihm der Besuch von Außenminister Fischer gelegen Aus Jerusalem Susanne Knaul: Gespannte Hoffnung im Heiligen Land
Joschka Fischers Nahostreise gestern kam aus israelischer Sicht sehr gelegen. Die ansonsten auf europäischen Einfluß nicht sehr erpichten Politiker in Jerusalem wollten den Besuch des deutschen Außenministers nutzen, um indirekt Druck auf die palästinensische Führung auszuüben. Schließlich hatte Fischer nach Gesprächen mit dem israelischen Außenminister David Levi und Premier Ehud Barak auch ein Treffen mit dem Palästinenser-Präsidenten Jassir Arafat im Programm.
Was schon zum 4. Mai, dem geplanten Datum zum Ausruf des Staates Palästina, klappte – internationaler Druck überzeugte Palästinenserpräsident Jassir Arafat, den Termin zu verschieben – könnte jetzt wieder funktionieren. Barak wünscht sich diesmal Flexibilität vor allem für den zeitlichen Rahmen des bereits unter seinem Vorgänger Benjamin Netanjahu (Likud) vereinbarten Abzugs aus dem Westjordanland. Ginge es nach Barak, würde der Abzug „um einige Monate“ verschoben, bis eine grundsätzliche Vereinbarung über die „End-Status-Phase“ unter Dach und Fach ist.
Zwei Wochen Aufschub sind Barak zunächst sicher. In dieser Zeit soll ein bilaterales Komitee den israelischen Vorschlag überdenken, den Wye-Abzug mit den Verhandlungen über den endgültigen Status der besetzten Gebiete zu verknüpfen.
Barak verspricht, in jedem Fall den Vertrag einzuhalten und die Truppen abzuziehen, wenn Arafat darauf beharren sollte. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz gab sich der Palästinenserpräsident hartnäckig: „Wir müssen alles, was unterschrieben wurde, respektieren und umsetzen.“
Um die Palästinenser zu überzeugen, werden warme Worte des deutschen Bundesaußenministers allein nicht ausreichen. Arafat fordert klare Zusagen. Ob mit oder ohne Vertragsumsetzung: jeder Neu- und Ausbau von Siedlungen muß umgehend aufhören. Darum bemüht sich die israelische Regierung auch bereits. In der vergangenen Woche räumte die Armee zum ersten Mal einen illegal errichteten jüdischen Siedlerstützpunkt mit fünf Wohnmobilen. Der Ausbau von bereits bestehenden jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten dauert indes unverändert an.
Konkrete Friedenssignale kann und wird Barak in der Frage der palästinensischen Gefangenen setzen. Die Amnestie für gut 500 Palästinenser ist insofern unproblematisch, da es sich bei ihnen um gewöhnliche Strafgefangene handelt. Die Palästinenser fordern aber darüber hinaus die Freilassung der knapp 3.000 „Intifada-Helden“; Inhaftierte, die nach israelischer Definition „jüdisches Blut an den Händen haben“. Eine Amnestie wird deshalb nicht ohne Widerstand der jüdischen Bevölkerung durchzusetzen sein.
Angehörige von Terroropfern haben jetzt schon protestiert. Esther Wachsmann, deren Sohn Nachschon im Oktober 1994 entführt und ermordet wurde, wandte sich in einem erregten Appell an die Öffentlichkeit: „Für uns hat der sechstägige Alptraum, der das ganze Land schockierte, nie aufgehört.“ Manche Israelis, wie etwa Justizminister Jossi Beilin, halten die Phrase „Blut an den Händen“ für überaltet. „Wenn wir die Hände derer drücken, die die Mörder schickten, wie Arafat, dann macht es keinen Sinn, die Mörder im Gefängnis zu behalten.“ Doch selbst wenn es eine umfassende Amnestie geben sollte, und selbst wenn Barak glaubwürdig machen kann, daß er den jüdischen Siedlungsbau stoppen wird, wird Arafat auf Zugeständnisse bei dem israelischen Abzug aus den noch besetzten Gebieten beharren.
Möglich wäre ein Kompromiß, der einen bedingten Abzug, beispielsweise in der ersten Phase aus fünf Prozent des Landes, beinhaltet. Möglich wären auch konkrete Zugeständnisse mit Blick auf die „End-Status-Phase“, etwa eine Vergrößerung des vereinbarten Gebietes für den dritten Abzug im Gegenzug für eine zeitliche Verzögerung.
Zweifellos werden die beiden Delegationen schon in den kommenden zwei Wochen konkrete Zahlen zum Umfang des palästinensischen Landes, das ihnen für die endgültige Lösung vorschwebt, ansprechen. Laut Zeitungsberichten soll Jassir Arafat erklärt haben, „100 Prozent, sonst hat alles keinen Sinn“, während Baraks Team einen Rückzug aus etwa 65 Prozent des Landes anpeilt. Fest steht, daß es eine Einigung zu „Wye – jetzt oder später“ geben wird, und möglicherweise werden sich beide Seiten sogar innerhalb der von Barak angestrebten „drei bis sechs Monate“ auf eine Prinzipienerklärung einigen können.
Für die Verhandlungen mit Syrien und dem Libanon dürfte die Zeit bis zum Oktober nächsten Jahres ausreichen. Obwohl Syriens Präsident Hafis al-Assad nicht zur Beerdigung von Marokkos König Hassan kam, um einem aus seiner Sicht offenbar verfrühten Händedruck mit Ehud Barak auszuweichen, so hat zumindest sein Bruder zum ersten Mal mit israelischen Journalisten gesprochen.
Jordaniens neuer König Abdallah engagiert sich zudem wie sein verstorbener Vater als Vermittler und bietet sein Land als neutralen Verhandlungsort an. Barak stützt sich auch auf Rußland, das bei Syrien auf größeres Vertrauen stoßen wird als die USA.
Ein Friedenssignal wird Ehud Barak auf jeden Fall setzen: Die Freilassung von palästinensischen Häftlingen
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