Israel will Al Jazeera verbieten: Blinde Flecken
Israels Regierung will Al Jazeera als „Sprachrohr der Hamas“ verbieten. Das ist ein Fehler, auch wenn der katarische TV-Sender nicht objektiv berichtet.
E in Fernseher, auf dem Al Jazeera läuft, gehört zum festen Inventar vieler Cafés und Restaurants im arabischen Teil der Altstadt von Jerusalem. Beim Friseur in der Nähe des Damaskustors flackern am Donnerstag in schneller Folge Bilder des von Israel bombardierten Konvois der Hilfsorganisation World Central Kitchen über den Bildschirm, gefolgt von Aufnahmen von bis auf die Knochen abgemagerten Kindern und in blutige Decken eingewickelte Leichen, Opfer eines israelischen Luftangriffs.
Damit soll nach dem Willen der israelischen Regierung bald Schluss sein. Ein Gesetz zur Einschränkung internationaler Medien, welche die „nationale Sicherheit“ bedrohen, hat vergangene Woche das israelische Parlament passiert. Erklärtes Ziel der Maßnahme: Al Jazeera. „Für Sprachrohre der Hamas wird es in Israel keine Meinungsfreiheit geben“, sagte Kommunikationsminister Shlomo Karhi im Anschluss an die Abstimmung.
Der katarische Sender gehört nach eigenen Angaben mit rund 430 Millionen Zuschauern zu den reichweitenstärksten in der arabischen Welt. Im Gegensatz zu den meisten internationalen Medien verfügt er im Gazastreifen über ein dichtes Netz an Korrespondenten. Die Reporter berichten ungefiltert über den Schrecken des Krieges und werden dabei auch immer wieder selbst zum Ziel. Unter den rund einhundert seit Kriegsbeginn getöteten Journalisten ist auch der Sohn des Al-Jazeera-Büroleiters im Gazastreifen, Hamza al-Dahdouh, der im Januar bei einem Luftangriff ums Leben kam.
Dass sich Al Jazeera nicht um Neutralität bemüht, ist deutlich: „Al-Aksa-Flut“ ist auf der arabischen Webseite der Bereich zum Gaza-Krieg überschrieben, benannt nach dem Namen der Hamas für ihren blutigen Angriff auf Südisrael am 7. Oktober 2023, bei dem die Angreifer rund 1.200 Menschen töteten und etwa 250 entführten.
„Gefährlicher Präzedenzfall“
Ein Verbot des Senders ist dennoch der falsche Weg. Zum einen dürfte es kaum umzusetzen sein, schätzt Tehilla Shwartz-Altshuler vom Israelischen Institut für Demokratie IDI: „Das Gesetz ist Symbolpolitik, die sich vor allem an die Wählerschaft von Ministerpräsident Netanjahu richtet.“
Wer Al-Jazeera-Inhalte sehen wolle, der könne jedes Verbot voraussichtlich leicht umgehen. Schaden könnte es hingegen der Pressefreiheit. Der Verband der Auslandspresse in Israel warnt vor einem „gefährlichen Präzedenzfall“, der in der Folge auch weitere Sender treffen könnte.
Zum anderen ignoriert der Fokus auf Al Jazeera, dass auch die israelische Presse in der Berichterstattung über den Krieg blinde Flecken hat. Es dominiert die Perspektive der Soldaten, die gegen Hamas-Kämpfer vorgehen, der Geiselfamilien oder der Angehörigen gefallener israelischer Soldaten.
„Die Israelis sehen nicht die Bilder aus dem Gazastreifen, die der Großteil der Welt sieht“, sagte Raviv Drucker, einer von Israels bekanntesten Investigativjournalisten und Moderator beim privaten Sender Kanal 13, im Interview dem britischen Guardian. Fehlverhalten israelischer Soldaten in Gaza oder im besetzten Westjordanland „wollen die Menschen nicht sehen“. Drucker setzt sich dafür ein, mehr über die palästinensische Zivilbevölkerung zu berichten.
Nie ein Video der Gräueltaten gesehen
Damit ließe sich vielleicht etwas ändern an schockierenden Umfragen wie etwa der des IDI von Februar. Zwei Drittel der befragten jüdischen Israelis waren damals gegen humanitäre Hilfe für Gaza, als internationale Organisationen längst vor einer drohenden Hungersnot warnten. Zwar gibt es unabhängige israelische Presse, allen voran die Tageszeitung Haaretz, die scharf die eigene Regierung oder das Vorgehen der Armee kritisiert. Doch sie erreichen nur einen Bruchteil der Gesellschaft.
Auf Seiten der Palästinenser sieht es nicht besser aus: Laut einer Befragung des palästinensischen Umfrageinstituts PSR in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung stehen 70 Prozent im Westjordanland und dem Gazastreifen hinter dem Angriff der Hamas am 7. Oktober. Dieselbe Umfrage kommt aber auch zu dem Ergebnis, dass vier von fünf Palästinensern nie ein Video der Gräueltaten und Massaker an israelischen Zivilisten gesehen haben. Bei Al Jazeera wurden diese kaum ausgestrahlt.
Was die Sicherheit Israels gefährdet, ist nicht die freie Presse, auch wenn sie derart parteiisch berichtet wie Al Jazeera. Gefährlich sind die Informationsblasen, in denen sich viele Palästinenser und Israelis eingerichtet haben. Und gefährlich ist das Unverständnis vieler Israelis für die wachsende Kritik weltweit am Vorgehen der Armee in Gaza.
„Weil sie selbst nicht das ganze Bild vor Augen haben, verstehen viele nicht, warum die Welt palästinensisches Leid sieht und das israelische scheinbar vergessen hat“, sagt Shwartz-Altshuler. Ein Verbot von Al Jazeera kann daran nichts ändern. Gute Berichterstattung, die alle Beteiligten hört, hingegen schon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz