Israel und Palästina in Schulbüchern: Mehr als der Nahostkonflikt
Eine Kommission hat das Israelbild in deutschen Schulbüchern untersucht. Thema ist oft der Konflikt in der Region, nicht die dortige Kultur.
BERLIN taz | Der Finger von Lehrer Jan Ebert wandert über die Israelkarte in einem Schulbuch. Hier wurde der Großvater einer seiner Schüler aus seinem Haus vertrieben, dort lebt die Familie eines anderen im Flüchtlingslager. Fast 80 Prozent seiner Schüler am Ernst-Abbe-Gymnasium in Neukölln stammen aus den Palästinensergebieten. „Das ist unser Land“, sagen sie. Das Schulbuch in Eberts Hand erzählt fast nichts über ihre Geschichte.
Deshalb ist er gekommen, als die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission (DISBK) diese Woche in Berlin Ergebnisse ihrer Studie vorstellte. Seit 2011 untersucht sie das Israelbild in deutschen Schulbüchern. Sie analysierte 400 in Bayern, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen verwendete Schulbücher. Das Palästinabild ist kein Thema der Tagung, die auch von der israelischen Botschaft veranstaltet wurde.
Doron Kiesel vom Zentralrat der Juden blättert in den Kopien eines Schulbuchs. Karten zeigen, wie das Territorium Israels mit jedem Krieg wuchs. „Israel wird nur als Täter gezeigt“, sagt er. Anders in Eberts Buch. Dort wird der 6-Tage-Krieg 1967 ein Verteidigungskrieg Israels genannt.
Es gibt Ausreißer, doch generell bemühten sich alle Schulbücher um Ausgewogenheit, so Dirk Sadowski von der DISBK – abgesehen von Bildern und Quellen: Ein Verletzter auf einer Bahre, daneben eine Polizistin. Es könnte ein Verkehrsunfall sein, es ist ein Selbstmordattentat. Täter und Opfer werden nicht genannt. Daneben ein Foto von fliehenden Jungs, hinter ihnen drei Soldaten. „Israelische Soldaten schießen auf arabische Jugendliche“, steht darunter. „Für meine Schüler sind das Kalaschnikows“, sagt ein Lehrer. Ob es nur Tränengaspistolen sind, verrät das Buch nicht.
Bücher werden oft als Propaganda gesehen
Über den Bildern ein Zitat. Ein 16-jähriger Selbstmordattentäter erzählt, warum er Juden töten wollte. Sein Freund wurde vor seinen Augen von einem Israeli erschossen. Er ist so alt wie die Schüler. „Viele werden sich denken: Drastisch, aber er hat recht“, sagt Sadowski. Ein israelischer Jugendlicher wird nicht zitiert.
Fast alle Quellen und Bilder, die Sadowski untersucht hat, sprechen zuungunsten Israels. Inhaltliche Aussagen will er nicht vorschreiben, sie müssten aber vergleichbar sein, sagt er. Radikale israelische Aussagen neben radikalen palästinensischen, Jugendliche neben Jugendlichen.
Für Eberts Schüler war jedes Buch Propaganda gegen ihre Heimat Palästina. Ihre Eltern raten ihnen, still zu sein, wenn es um Israel geht. Die Deutschen seien wegen des Holocaust ohnehin pro Israel. Ebert will Verständnis für die israelische Position wecken. Dafür müsste das Leid der Palästinenser ernst genommen werden, ihre Geschichte einen Platz in den Büchern finden. Die meisten konzentrieren sich aber auf die Geschichte ab der Gründung Israels 1948. Ein Lehrer sagt, es war ein Aha-Erlebnis für seine Schüler, als er im Unterricht weiter zurückging und die religiöse Geschichte von Palästinensern wie Juden ansprach.
In Eberts Schulbuch ist ein Bild jüdischer Siedler aus dem Jahr 1910. Thema sind die Waffen in ihren Händen, nicht, dass manche wie Beduinen gekleidet sind, sich anpassten. In den meisten Büchern erscheint der Nahostkonflikt unlösbar. Nichts davon, dass Juden und Palästinenser auch kooperierten. Ebert wünscht sich mehr Visionen, Lösungsansätze. „Die Kinder brauchen eine Perspektive“, sagt er.
Romy erwartete Bomben wie in ihrem Schulbuch, als sie in Tel Aviv aus dem Flugzeug stieg. Sie machte in der 12. Klasse bei einem israelisch-deutschen Schüleraustausch mit, lernte, dass nicht alle jüdischen Mädchen schwarze Röcke tragen, wunderte sich, wie unbefangen die Israelis waren, als sie in Deutschland ein KZ besuchten. Nicht jede Schule kann sich einen Austausch leisten. Viele Lehrer wünschen sich, dass Israel im Schulunterricht nicht nur für Krieg steht.
Die DISBK wird das in ihre Empfehlungen schreiben, die sie 2015 veröffentlicht. Sadowski bezweifelt, dass das Thema Israel und Palästina in den Büchern mehr umfasst als den Nahostkonflikt. Sie stehen unter dem Kapitel Weltkonflikte im Lehrplan – und der wird sich wohl nicht ändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich