Israel, Russland, und die Ukraine: Warum die Rechten in Deutschland über Außenpolitik streiten
Die AfD-Führung zeigt sich proisraelisch, während das neurechte Lager den „Schuldkult“ kritisiert. Viele junge Rechte bewundern zudem die Ukraine.
Ende Juli postete der außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Markus Frohnmaier, auf X zum Leid der Palästinenser im Gazastreifen. „Die arabisch-islamische Welt muss Druck auf Hamas ausüben – Kämpfen und Töten beenden“, schrieb Frohnmaier. Der neurechte Vordenker Benedikt Kaiser entgegnete darauf genervt: „Zum israelischen Massenmord kommt noch ein gesonderter Post?“
Zwei Wochen später saß der AfD-Co-Chef Tino Chrupalla im Sommerinterview des ZDF. Darin begrüßte er die Ankündigung des Bundeskanzlers, Waffenlieferungen nach Israel zu beschränken. Applaus bekam Chrupalla dafür von Kaiser. Die AfD-Fraktionsvize Beatrix von Storch dagegen attackierte Merz von der anderen Seite: Seine „Kehrtwende in der Israel-Politik“ zeige, wie die Brandmauer ihn an die „13-%-in-den-Umfragen-SPD“ kette.
Die dissonanten Äußerungen zeigen: In der deutschen Rechten verschärft sich die Debatte um den Israelkurs. Sie wird in der AfD geführt, aber auch im intellektuellen neurechten Vorfeld. Darin steht die israelfreundliche Haltung der AfD immer mehr in der Kritik. Das liegt einerseits an der Brutalität des Krieges in Gaza und der israelischen Aushungerungskampagne, die in der Bevölkerung über die Parteigrenzen hinweg für eine solide Zustimmung zum neuen Merz-Kurs gesorgt haben.
Doch fundamentaler geht es auch um das Selbstverständnis der Bundesrepublik als Gegenprojekt zur Naziherrschaft, die deutsche Verantwortung für den Völkermord an den Juden sowie um die daraus abgeleiteten Verpflichtungen gegenüber Israel.
In der AfD-Führung und im Parteiprogramm herrscht nach wie vor eine israelsolidarische Haltung vor. Politikerinnen wie von Storch sehen Israel als Vorposten des judeo-christlichen Westens in einer muslimisch-arabischen Umwelt. Das kleine Israel bekämpft demnach mutig die globale Bedrohung des Islamismus.
„Vogelschiss“ und Co
Medial flankiert wird diese Fraktion von transatlantisch-rechten Portalen wie Nius oder der Achse des Guten, aber auch von den Springer-Erzeugnissen Bild und Welt, die damit ihrerseits ein Scharnier zwischen AfD und dem bürgerlich-konservativen Lager der Union bilden. Gleichzeitig finden sich innerhalb der Partei Politiker wie Alexander Gauland, die zwar das gute deutsche Verhältnis zu Israel betonen, obgleich aber die Nazizeit als „Vogelschiss“ ad acta legen wollen.
Dagegen zeigt sich das neurechte Lager in AfD und Vorfeld offen für einen Wandel der Israelhaltung. Sie sehen in Merkels „Staatsräson“ und der deutschen Verantwortung für Israel ein Produkt des „Schuldkults“, der negativen Bindung Deutschlands an den Holocaust, die sie ablehnen.
Die Neurechten grenzen sich pro forma von der alten Rechten und ihrem offenen Nazi- und Holocaust-Revisionismus ab, streben aber eine positive Neudeutung der deutschen Geschichte an. In der Partei vertritt diese Fraktion Björn Höcke, der wiederum Schützenhilfe erhält aus dem neurechten Vorfeld um den Verein Ein Prozent, den Verleger Götz Kubitschek und dessen Sezession.
In eben jener Zeitschrift konnte man in den Wochen nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 einen Austausch lesen, der die Debatte zwischen dem proisraelischen Lager und den revisionistischen Neurechten gut kondensiert. Es ist ein Briefwechsel zwischen Artur Abramovych, Vorsitzender der „Juden in der AfD“, und dem Sezession-Autor Martin Lichtmesz.
Abramovych argumentiert darin die proisraelische Seite. Er führt an, dass die Rechte in fast ganz Europa, von Frankreich bis nach Ungarn, vehement auf der Seite Israels steht. Die Palästinenser hingegen seien schlichtweg Araber und nach neurechten Kriterien gar kein eigenes Volk. Die Schuld dafür, dass sie keinen Staat haben, schiebt Abramovych ihnen selbst in die Schuhe. Ferner ist er erstaunt, dass einige Neurechte, wenn es um Israel geht, auf einmal anfingen, von Menschenrechten zu „schwadronieren“ und „moralinsaure Äußerungen“ von sich zu geben.
In der Tat zeigt sich Lichtmesz empört über die israelischen Verbrechen an den Palästinensern, den vergangenen wie den gegenwärtigen, und verteidigt den „Volkscharakter“ der Palästinenser nach neurechten Standards. Dennoch schreibt Lichtmesz, ähnlich wie Chrupalla, er hätte nichts einzuwenden gegen gute Beziehungen zu Israel, und rate der deutschen Rechten ab, Position für die ein oder andere Seite zu beziehen.
„Schuldkult“ und „Philosemitismus“
Lichtmesz kritisiert aber, was er als „etliche Schnittmengen“ zwischen der israelischen Rechten und den maßgeblichen Denkern der „BRD“ bezeichnet, „etwa was die singuläre Bedeutung des Holocaust und die weltgeschichtliche Sonderstellung der Juden als ‚Opfervolk‘ und der Deutschen als ‚Tätervolk‘ angeht“. Das habe in Deutschland einen „Schuldkult“ und „Philosemitismus“ hervorgebracht, aber auch „die aktuelle haltlose Zustimmung der medialen Klasse zu den israelischen Vergeltungsschlägen in Gaza […], die vor allem auf die Re-Education zurückgeht.“
Das war im Oktober 2023. Anfang 2025 hielt Lichtmesz in Schnellroda einen Vortrag, in dem ein offenerer Antisemitismus zutage tritt. Darin geht es um „Amerika“, aber auch um die Bedeutung der USA für das jüdische Volk und den christlichen Zionismus. In Berufung auf den jüdischen US-Historiker Yuri Slezkine führt Lichtmesz den jüdischen Erfolg in den USA zurück auf eine Affinität zwischen der „amerikanischen Zivilisation“ und dem „merkurianischen Geist“ der Juden.
Lichtmesz meint „einen merkantilen, mobilen, vermittelnden Geist, also einen, der da ist, wo es darum geht, Dinge zu verwalten, Dinge zu liefern, zu verkaufen, auch medialer Bereich und all das. Und hier eben gibt es im jüdischen Volk ein besonderes Talent und eben auch in Amerika eine besondere Erfolgsgeschichte, nicht zuletzt auch im Film.“ Ein händlerisch-liberaler Geist wird kurzerhand den USA und den Juden angetackert.
Ein Kampfeinsatz in der Ukraine
Um den Einfluss der USA und das transatlantische Verhältnis geht es auch in einem anderen Streit, der unter Rechten gerade heiß läuft. Auch hier steht eine etablierte Position der AfD in der Schusslinie. Es geht um die Haltung zu Russland und dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Ausgelöst wurde der Streit durch einen Post des 22-jährigen AfD-Kommunalpolitikers Tim Schramm. Schramm gab Ende Juni auf X bekannt, dass er zwischen März und Juni in einem Freiwilligenverband der ukrainischen Armee gekämpft hatte.
Der Vorstand seines Landesverbandes Nordrhein-Westfalen will ihn dafür aus der Partei werfen. In der Begründung heißt es, Schramm habe der AfD mit einem Kampfeinsatz einen „schweren Schaden“ verursacht. Die Partei vertrete eine „anti-interventionistische Linie“ und lehne Waffenlieferungen ab.
Vor allem bei jüngeren Rechten sorgt dieser Kurs für Kritik und Häme. Die rechten Russlandfreunde bezeichnen sie als „Boomer“ oder „Russenstusser“.
In den Augen der Kritiker ist Russland kein rechtes Idealbild, sondern ein autoritärer Vielvölkerstaat, der viel auf Zuwanderung setzt und hohe HIV- und Abtreibungsraten aufweist. Dagegen zeichnen sie die Ukraine als homogene Nation.
Natürlicher Verbündeter
„In der Ukraine wird seit mehr als 3 Jahren verbissen das verteidigt, was uns Rechten am allerwichtigsten sein sollte. Freiheit, nationale Souveränität und Heimat“, schreibt Schramm auf X. „Es ist ein Kampf gegen ein imperialistisches Multikulti-Shithole, das unter dem Vorwand des ‚Antifaschismus‘ ein freies europäisches Volk vernichten und seine Identität auslöschen will – und welches auch unserem Land pausenlos droht.“
Ähnliche Argumente hört man auch von der rechtsextremen Kleinpartei III. Weg, oder von jüngeren Aktivisten der Heimat (ehemals NPD), die in X-Posts vor Flaggen der rechten ukrainischen Asow Brigade posieren und mit ihren Händen den White-Power-Gruß zeigen.
Die rechten Russlandfreunde antworten darauf mit dem Vorwurf des „Westextremismus“. Als eurasisches Imperium ist Russland für sie ein natürlicher Verbündeter und Gegengewicht zu den USA, die durch ihren kulturellen Einfluss angeblich die deutsche Nation zersetzen und mit den hierzulande stationierten Truppen die nationale Souveränität untergraben.
„Frieden mit Russland“ hat sich etwa Jürgen Elsässers Compact Magazin auf die Fahne geschrieben. Wer sich nicht gerade durch den hauseigenen Shop klickt, wo man für schlappe 75 Euro eine „Druschba-Silbermedaille“ für deutsch-russische Freundschaft erwerben kann, der kann auf der Seite Angriffe gegen den AfD-Politiker Schramm lesen.
Feindschaft mit Russland schade Deutschland, schreibt ein Autor, und die USA trieben einen Keil zwischen beide Länder. Was es wirklich brauche, sei eine „Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok“.
Gegen die „linksliberale Hegemonie“
Das neurechte Vorfeld um den Verein Ein Prozent nimmt dagegen so was wie eine Mittelposition ein. In einem Podcast distanzieren sich Benedikt Kaiser und Co von dem Lager, das Russland idealisiert. Dennoch ist der „Hauptwiderspruch“ für Kaiser „die Westbindung und alles, was damit zusammenhängt: Multikulturalisierung, Liberalisierung, Unterordnung unter den letzten Hegemon der Welt“, die USA.
Die wahre Bedrohung sei nicht etwa eine unrealistische russische Invasion in Deutschland, sondern „die realexistierende linksliberale Hegemonie in Deutschland.“ Und die sei „genauso bedingungslos proukrainisch und proisraelisch wie offensichtlich Teile der radikalen Rechten“. Hinter der Ablehnung der Israel- und Ukrainesolidarität (wie sie etwa Nius vereint) steht hier also der Hass auf den US-amerikanischen Einfluss, der schnell auch antisemitische Denkbilder aufruft.
Im Fokus auf Deutschland tut sich im rechten Denken aber ein anderes Spannungsfeld auf: einerseits der Blick auf die vermeintlichen Interessen des eigenen Landes und Volkes, und andererseits die internationale Solidarität mit ähnlich gesinnten Rechten anderer Länder. Globale Solidarität für die „gute Sache“ liegt der internationalistischen Linken eigentlich näher – aber genau das fordern jüngere Rechte mit Blick auf die Ukraine gerade ein.
Es ist nicht nur ein Gesinnungs-, sondern auch ein Generationenkonflikt, der an der AfD nicht spurlos vorübergehen wird.
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