■ Israel: Netanjahu zögert, ob er das Wye-Abkommen umsetzen will: Die Angst vor der eigenen Courage
Er hat kalte Füße bekommen, eiskalte sogar. Netanjahus Arroganz und Selbstsicherheit scheint verflogen zu sein. Der israelische Ministerpräsident agiert nicht mehr, er reagiert. Und das aus Feigheit. Die militanten Siedler, die sich jedem weiteren Rückzug Israels aus den palästinensischen Gebieten widersetzen, bezeichnete er windelweich als „meine Brüder und Schwestern“. Doch diese „Brüder und Schwestern“ sind derzeit nicht gut auf ihn zu sprechen. Ihre Parolen erinnern fatal an die Slogans, die vor genau drei Jahren ausgegeben wurden. Damals gegen die Regierung Rabin, dessen dritter Todestag sich am 4. November jährt. „Verräter“ und „Betrüger“ waren noch die milderen Formulierungen. Rabin wurde sogar als Nazi in SS-Uniform verunglimpft.
Obwohl die Rechtsradikalen in Israel eine Minderheit von 20 Prozent ausmachen, scheint Netanjahu ihren Drohungen Gehör zu verleihen. Und die sind durchaus manifest. Derzeit befürchten 55 Prozent der Israelis, daß der „jüdische Untergrund“ weitere Morde begehen wird, um das Abkommen von Wye Plantation zu Fall zu bringen. Selbst Massaker, die von unbekannten Einzeltätern begangen werden, werden von der israelischen Polizei nicht mehr ausgeschlossen. Das politische Klima ist extrem angespannt. Und auch auf palästinensischer Seite rechnet man mit weiteren Terrorakten von Hamas, vielleicht sogar einem neuerlichen Selbstmordanschlag, um den Friedensprozeß wieder zum Erliegen zu bringen.
Gerade deshalb ist das Zögern des „großen Zauderers Netanjahu“ so schädlich. Um seine angestammte rechtsradikale Klientel nicht zu verlieren, setzt er die Interessen des Landes aufs Spiel. Und einen möglichen Fortschritt im Friedensprozeß. Damit stärkt er, ob gewollt oder nicht, den „jüdischen Untergrund“ und die islamischen Fundamentalisten. Und er schwächt Arafat und die gemäßigten Palästinenser, die bereit sind, Frieden mit Israel zu schließen.
Aber mehr noch als das. Er führt sein Land in eine Konfrontation mit den USA, die historisch ohne Beispiel ist. Die Aussetzung des Abkommens düpiert die tagelangen Bemühungen von US-Präsident Clinton. Wenn Netanjahu ein Abkommen, das er selbst unterschrieben hat, jetzt wieder zurücknimmt, macht er sich als Staatsmann lächerlich, und das weltweit. Die USA sind mit dem Abkommen von Wye Plantation zum Schiedsrichter im israelisch-palästinensischen Friedensprozeß aufgestiegen. Es scheint, als erfordere diese Rolle jetzt einen energischen Pfiff. Oder sogar die gelbe Karte. Georg Baltissen
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