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Islamisten greifen nach der Macht

Die Partei des charismatischen Tayyip Erdogan liegt in den Umfragen weit vorn. Gegen das Militär kann sie aber nicht regieren. Deshalb präsentiert sie sich jetzt als gemäßigte Kraft nach dem Vorbild der CDU

BERLIN taz ■ Tayyip Erdogan ist ein charismatischer Mann. Seine Anhänger verehren ihn. Wenn er auftritt, gelingt es ihm scheinbar mühelos, große Menschenmassen in wahre Begeisterungsstürme zu versetzen. Sein Problem ist, dass er dabei zuweilen über das Ziel hinausschießt. Ob als bewusste Provokation oder auch nur im Überschwang der eigenen Rede hat Tayyip, wie er von allen genannt wird, mehrfach das kemalistische System der Türkei arg herausgefordert. Denn Tayyip, das moderne Idol der türkischen Islamisten, wollte sich nie damit abfinden, dass seine Partei von der Macht im Lande ausgeschlossen werden soll. Seine kämpferischen Reden gegen das Militär als Hüter der kemalistischen Ordnung sind zwar schon einige Jahre alt, doch das Militär vergisst so etwas nicht.

Nachdem Tayyip im letzten Jahr zum Vorsitzenden einer neu gegründeten islamisch-rechtskonservativen Partei gewählt wurde, halfen ihm alle Beteuerungen, er habe sich geändert, nichts. Mit dem Militär im Hintergrund setzte sich die Staatssicherheitsjustiz in Bewegung und befand, Tayyip dürfe aufgrund einer früheren Verurteilung weder als Chef einer Partei fungieren noch an Wahlen teilnehmen. Seine AK Parti bekam einige Monate Zeit, diesen Richterspruch umzusetzen.

Bislang ist Erdogan als Parteichef nicht zurückgetreten, weil er gehofft hatte, eine Aufhebung des Urteils zu erreichen. Doch seit gestern läuft ihm die Zeit davon. Wenn die Partei jetzt keinen neuen Vorsitzenden wählt, riskiert sie, von den Wahlen ausgeschlossen zu werden – trotz bester Umfragewerte und guter Chancen, im nächsten Parlament stärkste Fraktion zu werden. Wahrscheinlich werden die Islamisten deshalb der Form halber ihren zweiten Mann, Abdullah Gül, zum Spitzenkandidaten machen.

Gül repraesentiert noch weit mehr als Erdogan den moderaten Flügel der religiös motivierten Rechten des Landes. Es dürfte deshalb auch dem eifrigsten Staatsanwalt schwerfallen, einen Grund für einen möglichen Wahlausschluss zu finden.

Die türkischen Islamisten haben unter der Führung ihres alten Idols Erbakan, der in den 90-er Jahren für ein Jahr Ministerpräsident war, schmerzlich erfahren, dass sie in der Türkei gegen das Militär nicht regieren können. Sie werden deshalb alles daransetzen, mit den Machthabern im Hintergrund zu einem Kompromiss zu kommen.

Ihre Führung präsentiert sich bereits jetzt als rechtskonservative Partei, die für die Türkei so etwas wie die CDU in Deutschland werden will. Allerdings nehmen ihr weder die eigenen Anhänger noch die politischen Gegner diese Wandlung bislang ab.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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