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Is' Kult, Mann, is' Kult

■ Frau frißt Eier, Mann suhlt im Schlamm: „La Fura“rabatzte auf der Bürgerweide

Selbst gezähmt setzen sie noch auf den Schock. Innereien regnen diesmal nicht aufs Publikum. Und das Blutsurrogat, das vergossen wird und umherspritzt, macht diesmal an den Plexiglasscheiben der Käfige halt. Für die Textilien braucht das Publikum nach der Mercedes-Inszenierung „Simbiosis“der katalanischen Berserker-Artisten von „La Fura dels Baus“, die am Sonntag abend die A-Modell-Promotion auf der Bürgerweide beschloß, keine Reinigung. Aber vielleicht braucht es eine für den Kopf.

Techno – und „La Fura“macht Theater dazu

Die Beats aus den Boxen wummern den Hochleistungstakt. Gehaltene Synthie-Töne und Stakkato-Akkorde, die einen bremsend, die anderen beschleunigend, klingen wie das permanente Versprechen, daß etwas bevorsteht und etwas neues passiert. Techno ist die Musik der 90er. Denn Techno ist die Musik für ein Leben, in dem es ein Wahnsinn ist, sich so früh schon an nichts mehr richtig erinnern zu können. Wummwummwummwummwumm – und „La Fura“macht – auch gezähmt – das Theater dazu.

Vorn der Kubus von 18 mal 18 mal 18 Metern aus schwerem Holz, Netzen und geheimnisvollen Stoff- und Pappobjekten. Mittendrin die ZuschauerInnen, die wohl tausend zählen. Und drumherum sechs Käfige aus verspiegeltem Plexiglas, die erst durchsichtig werden, wenn ihnen ein Licht aufgeht. Auftreten Steiger mit Bergwerkshelmen und -lampen und tragen wie zur Prozession einen fauchenden Blasebalg herum. Is' Kult, Mann, is' Kult.

Gott und die Welt wirken hier mit. In personae ungezählter 18 Katalanen und ebenso vieler KünstlerInnen, TänzerInnen, ZeremoniengesellInnen aus dieser Region. Und in Bild und Ton eines Spektakels, das – so geht die hübsche Rede mancher Theatermenschen – „aus dem Bauch kommt“oder doch eher auf ihn zielt. Denn die Geburt ist aus dem Leben nicht mehr wegzudenken – irgendwie. Und aus „Simbiosis“demzufolge auch nicht.

Hoch oben öffnen sich Kokons, die eben noch so aussahen wie große braune Bohnen. Vier menschliche Wesen robben heraus und dann hinein in Stoffschläuche, die bis auf den Boden hinabhängen. Die Leiber strecken sich und gehen hernieder, sie krümmen sich und bremsen ab. Doch das starke Bild bleibt auf der Strecke, verhallt zwischen Pyrotechnik, Beats und Rauch und verschwindet ganz, als das Licht in den Käfigen angeht.

Frau frißt Eier, Mann suhlt sich im Schlamm, Frau befiehlt, Mann revoltiert, Frau mimt den Golem, Mann hängt in den Seilen – die Köpfe der ZuschauerInnen kreisen vor lauter Geburtsmetaphern, Gewaltmetaphern, Verelendungsmetaphern und gewiß auch Sexmetaphern. Wie bestellt, fährt ein Krankenwagen davon, denn auch wenn Blutersatz und Schlamm und Dotter bloß auf die Akteure hinterm Plexiglas und nicht ins Publikum spritzen, färben aus der okkulten Show Lust am Ekel, Kitzel, Schauer, Leben ab.

So viel Leben ist selten im Theater

Was dem verkorksten Hunger nach Lust und Abenteuer der Bungee-Sprung und der via TV Kultur gewordene Fetischismus, ist am Theater „La Fura“. Mit ihrer beliebig aus Gewalt und Sex, Hightech und Artistik und archaisch bis christlich-religiösem Kult zusammengesetzten Show bildet die katalanische Gruppe das Nebeneinander der vielen leeren Versprechen ab und gleicht sich ihm doch zum Verwechseln an. Zwar hat sich Routine beigemengt und ist das körperliche Risiko für die Zusehenden verschwunden, doch so viel Leben ist selten – im Theater.

Christoph Köster

Nächste Tourneestationen: Hannover vom 11. bis 14. Juli, Hamburg vom 19. bis 22. Juli

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