piwik no script img

Irrsinn vor dem Thunfischregal

■ Zum Auftakt des Vegesacker Theaterfestivals „Bremer Sterne 2“ zeigte die TheaterWerkstatt Freiburg im Kulturbahnhof die Tragikomödie „Gebrüllt vor Lachen“

Die Frau hat ein Problem: Direkt vor ihr am Thunfischregal steht ein Typ, der nicht registriert, dass sie an die Dosen will. Lösung des Problems: Ohne jede Vorwarnung zieht sie ihm die schwere Einkaufstasche über die Runkel und beschimpft anschließend den Niedergeschlagenen mit „Gehen Sie doch mal zur Seite, Sie Arschloch!“

Eine solche Frau – wen wundert's – hat nicht nur vor Thunfischregalen so ihre Probleme. Genau genommen gibt es keine Neurose auf dieser Welt, zu der sie nicht eine intime Beziehung pflegt. Sie hasst ihre Kleider, nörgelt über ihre Frisur, brüllt uneinsichtigen Taxifahrern „Dich fick' ich nie“ an den Kopf, obwohl sie „Fick dich ins Knie“ sagen wollte. Sie liebt den Herbst, weil da alles stirbt, überlegt, ob ein wildfremder Straßenmusiker, der sie aus dem Rinnstein heben will, der Mann fürs Leben ist und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass ihre Mutter sie als Embryo abgetrieben hätte. Kurzum: sie hasst jeden, der glücklich ist. Und am meisten sich selbst, weil sie über jedes Maß unglücklich ist.

Die namenlose Frau aus Christopher Durangs Off-Broadway-Stück „Gebrüllt vor Lachen“, das zum Auftakt des Vegesacker Theaterfestivals „Bremer Sterne 2“ in einer Bearbeitung der TheaterWerkstatt Freiburg im Kultubahnhof zu sehen war, ist eine Zumutung. In schamloser Aufdringlichkeit breitet sie in einem eindrucksvollen dreiviertelstündigen Monolog ihre Seelenpein aus, erzählt von Schlafstörungen und postkoitalen Selbstmordfantasien, verflucht mal den Papst, mal die TV-Moderatorin Petra Schürmann und überhaupt „jede verfickte Kreatur in diesem blöden, grauenhaften Universum“.

Und doch: Immer wieder gelingt es ihrer ausgezeichneten Darstellerin Sybille Denker, inmitten dieses verpfuschten Daseins jene Momente aufblitzen zu lassen, die diese neurotische Frau in ein Alter ego des Betrachtenden verwandelt. Die lebenslange Suche nach der großen Liebe, dem letzten Sinn und der allumfassenden Geborgenheit – es treibt sie ebenso wie uns durch den Tag; Ende offen. „Können Sie ein Verwandschaftsgefühl für mich aufbringen?“, vergewissert sich Denker immer wieder mal beim Publikum. Und es ist nicht so, dass jemand widersprechen würde.

Sowas wie vor dem Thunfischregal passiert dem Mann (Peter Will Hermanns) ständig. Grundlos schlagen fremde Frauen auf ihn ein, ebenso wie ohne Grund sich alle Unglücke der Welt ihn zu ihrer ökologischen Nische auserkoren haben. Der Besuch eines Persönlichkeitsseminars hat ihn zwar gelehrt, das halbleere Glas ein halbvolles zu nennen. Doch im Grunde kann er nicht anders, als jedes Glas, halbvoll oder -leer, als am Boden zertrümmerten Scherbenhaufen zu betrachten.

Auch Hermanns schauspielerisch eindrucksvolles Solo führt das Publikum in die Abgründe einer grotesken Existenz, in der der Selbstzweifel zum einzigen Lebensinhalt geworden ist. Nicht ohne Selbstironie seziert Hermann auf der Bühne eine Figur, gegen die Woody Allen wie ein lebenslustiger Club-Animateur wirkt: Verletzlich, vergrübelt, verklemmt und doch immer gewillt, in Psychokursen und Massenhappenings die universelle Harmonie zu erlernen.

Nicht, dass das Erfolg versprechend ist. Aber immerhin führt es in diesem kurzweiligen Stück letztlich zur ebenso weisen wie altbekannten Einsicht, dass es in dieser Welt trotz aller Bemühungen schlicht kein richtiges Leben im falschen geben kann. Vorerst zumindest. Insofern hat das Lebensmotto des Duos, das sie am Ende gemeinsam verkünden, durchaus etwas tröstliches: Immer schön weiteratmen. Franco Zotta

Die weiteren Termine des Festivals „Bremer Sterne 2“: Heute Abend ist nochmals „Gebrüllt vor Lachen“ zu sehen (20 Uhr); das Theater Satyricon spielt „Der Sturm“ (12-13. Mai, 20 Uhr); der Blaumeierchor „Chor Don Bleu“ singt den „Grand Prix de la Chanson“ (19. Mai, 20 Uhr); die FH Ottersberg zeigt „Shakespearience“ (21. Mai, 19 Uhr); zum Abschluss gastieren die Ramazotti-Sisters mit „Lieder lügen nicht ...  (26.-27. Mai, 20 Uhr). Karten und Infos gibt es im Kulturbahnhof Vegesack unter Tel.: 65 00 60

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen