Irans Atomprogramm: Der Countdown läuft
Trotz aller Sanktionen hält der Iran an seinem Atomprogramm fest - und riskiert militärische Reaktionen. Doch das Land hat seine Abwehrkraft erheblich verstärkt.
Selten waren die Beziehungen zwischen dem Iran und der westlichen Welt, allen voran den USA, derart auf dem Tiefpunkt. Es vergeht kaum ein Tag ohne eine Meldung, die verdeutlicht, wie angespannt die Beziehungen sind - und wie sehr diese Anspannungen zunehmen.
Allen Sanktionen zum Trotz feierte das Regime Mitte August die Inbetriebnahme des ersten iranischen Atomkraftwerks in Buschehr. Kurz darauf kündigte die Regierung den Bau einer weiteren Urananreicherungsanlage an. Zugleich schloss Revolutionsführer Ali Chamenei Verhandlungen mit den USA kategorisch aus, solange die Sanktionen nicht aufgehoben würden und sein Land weiter bedroht werde. Anfang August kündigte Vizepräsident Mohammed-Resa Rahimi an, dass der Iran künftig weniger "Waren der Feinde" kaufen und seine internationalen Geschäfte nicht länger in den "schmutzigen" Währungen Euro und Dollar abwickeln werde, sondern nur noch in den Währungen verbündeter Länder. Ende August gab Zentralbankchef Mahmud Bahmani bekannt, dass der Iran alle Bankkonten in Europa aufgelöst habe.
Kurz: Alle Versuche, den Iran zum Einlenken zu bewegen, sind bisher gescheitert. Selbst die von den USA, der EU und zuletzt von Japan und Südkorea zu UN-Sanktionen beschlossenen zusätzlichen Boykottmaßnahmen haben bislang die erwünschte Wirkung nicht erzielt - nicht zuletzt, weil sie von verschiedenen Staaten unterlaufen werden. Und Russland und China, inzwischen die wichtigsten Handelspartner des Irans, haben erklärt, dass sie die Maßnahmen der USA und der EU nicht akzeptieren.
Zwar bekommt die iranische Bevölkerung die Sanktionen zu spüren, die Staatsführung aber kann sich das Nötige zum eigenen Machterhalt beschaffen, solange das Öl fließt. Ein Ölboykott kommt aber nicht in Frage, weil sich damit der Westen selbst schaden würde. Der Atomkonflikt eskaliert, nach der Einschätzung der USA ist der Iran um ein Jahr vom Bau von Atomwaffen entfernt; Israel spricht von wenigen Monaten.
Ein Ausweg ist nicht in Sicht. Oder genauer: Die denkbaren Auswege erscheinen allesamt unrealistisch: Zum Beispiel die Aussicht, dass die USA, die EU und Israel sich mit einem atomar bewaffneten Iran abfinden. Oder dass es in Teheran in absehbarer Zeit zu einem Machtwechsel kommt. Oder dass sich die gesamte Region zu einer atomfreien Zone erklärt. Eine andere Möglichkeit wäre ein direktes Abkommen mit den USA, das die Sicherheit des Irans glaubhaft garantiert und sämtliche Sanktionen aufhebt. Aber dazu sind die USA nicht bereit.
Diese Lage rückt die Option eines militärischen Angriffs, die schon seit Jahren im Raum steht, immer mehr in den Bereich des Möglichen. Diese wachsende Gefahr ist auch der Häufigkeit zu entnehmen, in der die Kriegsoption seitens der Entscheidungsträger in Washington und Tel Aviv öffentlich erwogen wird.
Sollte der Iran Atomwaffen entwickeln, bliebe für die USA ein Militärschlag gegen den Iran "eine Option", sagte US-Generalstabschef Mike Mullen in einem Interview Anfang August. Er hoffe auf eine diplomatische Lösung, dennoch seien Militäraktionen nicht auszuschließen. Auch existieren dafür bereits konkrete Pläne. Die hohe Konzentration von Kriegsschiffen im Persischen Golf - die höchste seit Beginn des Irakkriegs - deutet darauf hin, wie weit diese Pläne schon gediehen sind.
Zudem verstärken die USA ihre Bemühungen zum Aufbau einer arabisch-sunnitischen Front gegen den Iran. So will man Abwehrraketen des Typs Patriot für 900 Millionen Dollar an den arabischen Verbündeten Kuwait liefern. Das Emirat benötige die Waffen gegen "derzeitige und künftige Bedrohung durch Feinde", erklärte das US-Verteidigungsministerium. Zudem nütze das Waffengeschäft auch der "Außen- und Sicherheitspolitik der USA". Amerikanischen Medien zufolge prüft die US-Regierung derzeit auch den Verkauf von Kampfjets des Typs F-15 für 30 Milliarden Dollar an Saudi-Arabien, das sich als regionales Gleichgewicht zum Iran in der Golfregion sieht.
Ob es tatsächlich zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen wird, entscheiden nicht allein die USA. Auch Israel könnte den Iran bereits innerhalb der nächsten zwölf Monate im Alleingang angreifen. Zu dieser Einschätzung gelangt der amerikanische Journalist Jeffrey Goldberg nach Gesprächen mit 40 früheren und derzeitigen Entscheidungsträgern in Israel sowie vielen amerikanischen und arabischen Regierungsmitarbeitern. In einem Beitrag für die Septemberausgabe des Magazins The Atlantic schreibt Goldberg: "Wenn die Israelis zu dem sicheren Ergebnis kommen, dass Obama unter keinen Umständen einen Militärschlag gegen den Iran ausführt, dann beginnt der Countdown für einen israelischen Angriff." Die israelischen Kampfflugzeuge würden aller Wahrscheinlichkeit nach über den Irak sowie - mit stillschweigender Duldung des Königshauses - über Saudi-Arabien fliegen.
Die drohende Gefahr eines Angriffs wird natürlich auch im Iran wahrgenommen. Das islamische Land werde entschlossen seine territoriale Integrität und seine Interessen verteidigen, sagte der Vizechef der paramilitärischen Revolutionsgarden, General Jadollah Dschawani, am 2. August. "Wir würden auf jeden Angriff entschlossen reagieren. Und die USA sind sich darüber im Klaren, dass der Persische Golf eine strategisch wichtige Region ist. Die Sicherheit dieser Region zu gefährden, würde gleichzeitig eine Gefährdung der amerikanischen Interessen bedeuten", warnte Dschawani.
Teheran hat bereits wiederholt gewarnt, im Falle eines Angriffs auch die Ölwaffe einzusetzen und zum Beispiel die für den internationalen Tankerverkehr wichtige Straße von Hormus zu sperren. Iran ist eine hochgerüstete Regionalmacht. Mit 523.000 Mann bei regulärer Armee und Revolutionsgarden stellt das Land zahlenmäßig die größte Streitmacht im Nahen und Mittleren Osten. Hinzu kommen etliche paramilitärische Organisationen, deren Mitglieder ideologisch bestens präpariert und zu jedem Opfer bereit sind.
Inzwischen hat der Iran seine Abwehrkraft erheblich verstärkt. Das Land verfügt über U-Boote, Kriegsschiffe, Kurz- und Mittelstreckenraketen, Drohnen und Flugabwehrraketen des Typs S-300. Die Waffen sind teils russischer, teils, wie die erst im August wieder getestete Mittelstreckenrakete "Fateh-110", heimischer Herkunft. Nach Ansicht des US-Verteidigungsministers Robert Gates stellt das iranische Raketenarsenal eine große Bedrohung für Europa dar. Geheimdiensterkenntnisse zeigten, die Islamische Republik werde im Falle eines Angriffs nicht bloß eine Handvoll Geschosse auf Europa abfeuern, sondern wohl eher ganze Salven, sagte Gates im Sommer bei einer Anhörung im Kongress. Dutzende, wenn nicht gar hunderte Raketen könnten so Europa erreichen.
Eingedenk der schlechten Beziehungen des Irans zu den USA und dem Westen hatte Präsident Mahmud Ahmadinedschad bereits nach seiner ersten Wahl im Jahr 2005 sich nach neuen außenpolitischen Verbündeten umzusehen. Fünf Jahre später hat sich nicht nur die Konfrontation mit dem Westen verhärtet, auch die Ergebnisse dieser außenpolitischen Umorientierung sind deutlich spürbar: Heute sind China und Russland die größten Handelspartner des Irans. Erst in den letzen Tagen soll China nach iranischen Angaben fast 40 Milliarden Dollar in den Öl- und Gassektor des Landes investiert haben.
So hat sich der Iran langsam, aber zielstrebig zu einer bedeutenden Regionalmacht entwickelt, die in einigen Ländern der Region beachtlichen Einfluss ausübt - traditionellerweise in Syrien und dem Libanon, seit dem Irakkrieg aber auch im Nachbarland Irak. Nach dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak dürfte dieser Einfluss noch weiter wachsen. Durch die immense Hilfe an die libanesische Hisbollah und palästinensische Hamas gehört der Iran zu den wichtigsten Mitspielern im Nahostkonflikt. Selbst das Nato-Mitglied Türkei strebt in wirtschaftlicher wie in politischer Hinsicht engere Beziehungen zum Iran an. Damit steigt die Zahl der potenziellen Vermittler. Und zugleich steigt die Gefahr, dass ein bewaffnet ausgetragener Konflikt die gesamte Region beeinträchtigen könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!