Iranischer Graphic Novel: Die Sprache der Insekten
Mana Neyestani saß im Iran in Haft und floh. Mit „Ein iranischer Albtraum“ hat der Cartoonist seine Autobiografie gezeichnet.
Die erste Assoziation zu Graphic Novels und Iran sind Marjane Satrapis „Persepolis“-Bände: autobiografisch, witzig, kritisch. Diesen Anspruch hat auch Mana Neyestani mit seiner gerade auf Deutsch erschienenen Lebensgeschichte „Ein iranischer Albtraum“. Und die ist mehr als interessant.
Als der 1973 in Teheran geborene Cartoonist am 12. Mai 2006 eine Zeichnung für die iranische Zeitung Iran Jomeh anfertigte, ist er sich der Folgen nicht bewusst. Abgebildet ist ein Junge im Dialog mit einem Kakerlak. Dieser fragt „Namana?“, was so viel wie „Wie bitte?“ bedeutet – nicht nur im iranischen Slang, sondern auch und ursprünglich in der Sprache der aserbaidschanischen Minderheit des Iran.
Der eigentlich harmlose Kindercomic wurde zur Kontroverse: Wütende Aseris riefen in der Redaktion an, es kam in mehreren Städten zu gewalttätigen Protesten. Die Regierung handelte schnell, ließ Neyestani und seinen Chefredakteur verhaften.
Neyestani landet im Evin-Gefängnis für politische Gefangene. Mit ungewisser Haftdauer. Aufgrund der heftigen Auswirkungen glaubte ihm niemand, dass er von der Herkunft des Wortes nichts gewusst habe. Die Regierung Aserbaidschans vermutet eine Hetzkampagne gegen die Minderheit. Dass deshalb sogar Menschen ums Leben kamen, setzte auch Neyestani zu, der Alltag im Gefängnis und die Einzelhaft taten ihr Übriges.
Drei Jahre auf der Flucht
Korruption, Gewalt und Drogen prägten die Haft. Den ersten Hafturlaub nutzte Neyestani, um mit seiner Frau aus dem Iran zu fliehen: erst nach Dubai, dann in die malaiische Hauptstadt Kuala Lumpur. Drei Jahre später gelingt es dem Paar mit Hilfe von „Reporter ohne Grenzen“ nach Frankreich zu gelangen, wo Neyestani heute lebt.
In „Ein iranischer Albtraum“ erzählt der Zeichner seine Lebensgeschichte spannend nach, sein Zeichenstil allerdings ist nicht jedermanns Geschmack: Die schwarz-weißen Federzeichnungen wirken durch viele Schattierung sehr plastisch, die Figuren und das Setting sind cartoonesk – ähnlich steril wie die Werke aus dem Kunstunterricht in der Schule.
Neyestanis Comic-Ich strahlt Naivität aus. Nicht nur durch die weichen Formen, die kleinen Augen und die runde Nase, sondern auch im Handeln. Das Comic-Ich hat die Unschuld eines kleinen Jungen. Als ihn seine Frau Mansoureh auf die finanzielle Hürde ihrer Pläne aufmerksam macht, schlägt er vor, sich das Vermögen der Familie zu beschaffen. „Das ist verrückt!“, entgegnet sie. Er nimmt ihr die Zigarette aus dem Mund, zieht daran, steckt sie wieder zwischen ihre Lippen und sagt: „Dann lass uns verrückt sein!“
Keine Reizüberflutung
Das Maß an Detailgenauigkeit ist genau richtig. Kleinigkeiten ergänzen das Nötigste, von einer Reizüberflutung kann nicht die Rede sein. Genauso angenehm ist die Bildaufteilung. Was die Chronologie angeht, gibt es keinerlei Unklarheiten, die Panels sind sauber angeordnet. Ihr rechteckiger Rahmen wird nur dann verändert, wenn er zur Narration beiträgt. Durch das Variieren der Bildausschnittsgrößen gewinnt der Comic an Dynamik.
„Neben dem menschenverachtenden Regime im Iran kritisiert Neyestani mit seiner Graphic Novel auch das internationale Asylwesen“, verkündet die Innenseite des Buchumschlags. Und das tut der Cartoonist. Seine Erzählung über die Repressionen gegen kritisch Denkende und die Realität der iranischen Gefängnisse ist sehr bedrückend, wenn auch nicht neu, da Satrapi einige Vorarbeit geleistet hat.
Was ihre Graphic Novels allerdings so erfolgreich macht, ist deren Vielschichtigkeit, es geht nicht nur um die Verbindung von Biografie und Politik, sondern auch um Feminismus, um die Subkultur. Diese Ebene bleibt in Neyestanis Werk außen vor. Implizit geht es Neyestani aber auch um die Gefahr, die ein unsensibler Umgang mit Sprache birgt. Er zeigt, dass Alltagsbegriffe und Slang viel zu selten nach ihrem Ursprung untersucht oder hinterfragt werden.
Mana Neyestani: „Ein iranischer Albtraum“. Edition Moderne 2013, 200 Seiten, 24 Euro
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