Iranische Proteste: Gott wird zur Privatsache
Die iranische Protestbewegung wird Hand in Hand mit den Exiliranern die Revolution vollbringen. Friedlich auf dem Weg in ein weltliches, freies Land.
N ach sechs Wochen der iranischen Protestbewegung, die sichtbar stärker wird, stellt sich die Frage, was nach der Islamischen Republik kommen könnte. Die Antwort darauf liefert auch Gründe, warum diese nach Freiheit strebende Zivilgesellschaft politisch entschieden unterstützt werden muss. Dieser Text entwirft ein mögliches Szenario innerhalb des Iran am Tag nachdem Ali Chamenei in Handschellen abgeführt wird und sich die Türen des Foltergefängnisses Evin öffnen und sämtliche politische Gefangene entlassen werden.
Auch das Freiluftgefängnis Iran endet dann. In der Politik gibt es einen lustigen Satz: Wenn du nicht mehr weiterweißt, dann gründe einen Arbeitskreis. In einem iranischen Kontext gestaltet sich das umgekehrt: Gerade, weil die Iraner weiterwissen, gründen sie einen Arbeitskreis. Ein Baustein, dem dann ein Referendum zur Staatsform, eine neue demokratische Verfassung und freie Wahlen folgen.
Eine Regierung für den Übergang, deren Legitimation darin gefestigt ist, dass sie sich aus den aufgeklärtesten Köpfen zusammensetzt, die alles riskieren oder jetzt in den Gefängnismauern um ihr Leben kämpfen. Hossein Ronaghi, der als Blogger und Bürgerrechtler unerschrocken über die Freiheit im Iran für das Wall Street Journal geschrieben hat, wird Teil einer Übergangsregierung sein.
Nasrin Sotoudeh, die als mutige Juristin immer wieder Menschenrechtler verteidigt hat, irgendwann selbst zum Ziel des Regimes wurde und die aus dem Gefängnis einen Brief an ihren Sohn schrieb, dass er sich nicht um seine Mutter sorgen muss, sondern vielmehr die Schergen dieser Diktatur bemitleiden sollte. Diese prominenten Stimmen und ihre Empathie zeigen gemeinsam mit der Friedfertigkeit dieser gesamten Bewegung, wie wenig Chaos nach dem Sturz des Regimes zu erwarten ist.
ist Deutschiranerin. Sie hat an der Universität Bayreuth Theaterwissenschaften, Amerikanische Literaturwissenschaft und Soziologie studiert – mit Forschungsaufenthalten in New York und der Musikbibliothek von Yale.
Komplett säkulare Gesellschaft
Zu nennen sind hier auch ganz pragmatische Gründe, die mit dem sozialen Gefüge der iranischen Gesellschaft zu tun haben. In vier Dekaden Diktatur hat der Islamismus keine Freunde gefunden in diesem Land, das durch und durch säkular geworden ist im Widerstand zum Klerikalfaschismus. Der hohe Alphabetisierungs- und der hohe akademische Bildungsgrad der Iraner spielen eine Rolle.
Dieses Streben nach Wissen hat die gegenwärtige Revolution unumgänglich gemacht. Die Iraner greifen nach Selbstbestimmung. Auch weil der Islamismus im Iran niemals ankam und weil die Iraner die Geschichte ihrer eigenen alten Zivilisation gut kennen, gibt es eine unverrückbare iranische nationale Identität, die auch ethnische und religiöse Minderheiten einschließt. Dazu gehört, dass der Iran über eine seit Tausenden von Jahren existierende Landesgrenze verfügt. Wie viele Länder können das von sich sagen?
Um diese Landesgrenzen zu bewahren, um allen ethnischen und religiösen Minderheiten ihre unveräußerlichen Bürgerrechte zu ermöglichen, muss diese Islamische Republik Geschichte werden. Gott wird in einem freien Iran zur Privatsache. Die weiteren friedlichen Befreiungsschläge zielen darauf ab, mit sämtlichen ideologischen Säulen – Antiamerikanismus, Antizionismus, Geschlechter-Apartheid – und einer unterdrückten Ökonomie zu brechen.
Welche Rolle wird nun die iranische Diaspora in dieser Transition spielen? Kaveh Shahrooz, iranisch-kanadischer Rechtsanwalt und Experte für Außenpolitik, macht darauf aufmerksam, wie erfolgreich und demokratisch integriert Exiliraner in ihren jeweiligen Ländern sind. Jetzt kommt ihnen eine besondere Verantwortung in der freien Welt zu, ihren Landsleuten im Iran den Rücken zu stärken und größten politischen Druck auf das Regime zu fordern.
Wichtige Rolle für die Iraner in der Diaspora
Nicht von ungefähr kamen aus zahlreichen europäischen Städten Iraner zu der großen Demonstration am Wochenende in Berlin gereist. Es zeugt aber auch von großer Demut, wenn Shahrooz, Absolvent der juristischen Fakultät von Harvard, sich selbst nur als Tourist im Iran sieht. Die Wahrheit liegt irgendwo im Mittelfeld: Ja, vor allem die Iraner im Land, die diese Hölle durchlebt haben und noch durchleben, werden die Richtung vorgeben, aber Iraner aus der Diaspora werden ihnen beratend zur Seite stehen – gemeinsam im Dienst eines säkularen und freien Iran.
Reza Pahlavi, der Sohn des letzten Schahs, könnte hier eine wichtige Rolle spielen. Die Menschen auf den Straßen des Iran rufen lautstark seit Jahren nach ihm, eben weil sie Zusammenhalt und eine heilende Wirkung wollen. Die Revolutionsgarden werden entwaffnet und eine Art Entnazifizierung durchlaufen müssen – wer könnte das besser als eine Übergangskoalition, die sich auf die undogmatische Entfaltung des Iran konzentriert?
Strafrechtliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen ohne Rache ist hier das Ziel. All diese politischen Elemente der iranischen Freiheit sind laut und deutlich in den Protestslogans zu hören. Es sind zukünftige Parteiprogramme, die hier skandiert werden. Sanktionen und diplomatische Isolation sind nötig, damit die Iraner sich schneller selbst befreien können. Nach dem Mittelalter des politischen Islam folgen weder Chaos noch eine Militärdiktatur, sondern friedliche Entwicklungen.
Die Iraner wollen die rückständige islamische Revolution von 1979 beenden und die bürgerliche konstitutionelle Revolution von 1906 vollenden. Wer das nicht sehen will, betreibt die Propaganda eines Regimes, das von Anfang an moralisch bankrott war. Wer glaubt, dass die iranische Zivilgesellschaft ein Atomprogramm befürwortet, das immense finanzielle und politische Kosten für das Land verursacht hat, der will diesen Sicherheitskonflikt einfach nicht beendet sehen.
Wenn die Iraner es geschafft haben, ihre Angst gegenüber einem menschenverachtenden Regime in einer Unwiderrufbarkeit abzulegen, dann kann und muss endlich auch Europa seine paranoide Angst vor dem ersten Tag der iranischen Freiheit ablegen.
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