Iranische Juden in Israel: Abends ein Anruf nach Teheran
Shay spricht mit Hörern aus dem Iran, Noy übersetzt persische Literatur, andere trauern der Heimat nach: Iranische Juden zwischen Anpassung und Verständigung.
TEL AVIV taz | Zwei Computer, Lautstärkeregler und Kopfhörer, das ist alles, was Amir Shay braucht, um Radio RadisIN zu betreiben. Das kleine Studio liegt direkt über dem Supermarkt eines zweistöckigen Einkaufszentrums im Süden von Tel Aviv. Über die gesamte Fläche einer Wand hängt das Plakat des Senders, der rund um die Uhr auf Farsi sendet. „Persian Radio Music“ steht darauf. An eine andere Wand hat Shay eine übergroße Israelflagge geheftet.
Das Studio ist spartanisch eingerichtet. Besucher dürfen sich in Wassergläsern löslichen Kaffee machen und aus einer Kekspackung bedienen. Der schlanke DJ mit den nach hinten geföhnten Haaren lässt fast ausschließlich iranischen Pop über den Sender gehen. „Den Geschmack der Leute können wir nicht ändern, aber ihre politische Haltung.“ Seine Zielgruppe sind nicht nur die aus dem Iran eingewanderten Juden, sondern Hörer im Iran – Juden und Muslime.
Radio RadisIN ist über Internet, Kabel und Satellit zu empfangen. Gesendet wird von 17 bis 24 Uhr live, sonst laufen Wiederholungen. 36 ehrenamtliche Moderatoren, allesamt ehemalige Iraner oder Kinder iranischer Immigranten, wechseln sich ab. Shay erlebte als Achtjähriger die Revolution, die die Islamisten in Teheran an die Macht brachte. Und die seine Eltern die Koffer packen ließ. Bis heute ist sein Hebräisch leicht Farsi-gefärbt.
Insgesamt 75.000 Juden aus dem Iran sind nach Israel eingewandert, davon kam etwa die Hälfte schon in den Jahren nach der Staatsgründung, die andere Hälfte in den 70er und 80er Jahren. Seit 1990 sind weniger als 2.000 iranische Juden nach Israel ausgewandert.
Ungeachtet dessen, dass die iranische Führung den Holocaust leugnet und die Vernichtung Israels propagiert, leben bis heute rund 20.000 Juden im Iran. Sie bilden die größte jüdische Gemeinde in einem islamischen Land. Allein in Teheran gibt es 15 Synagogen.
Iranisches Volk ist ungleich Regierung
Auf Augenhöhe will er mit seinem Publikum reden. „Unsere Botschaft ist: Wir wissen, dass das iranische Volk nicht gleich iranische Regierung ist.“ Jeden Mittwoch um 20 Uhr wird aus einer Geschichte oder einem persönlichen Bericht eine Sendung gestaltet. Die Hörer bleiben dabei anonym.
„Manchmal sind es schreckliche Erfahrungen von ehemaligen Häftlingen, Frauen, die im Gefängnis vergewaltigt worden sind.“ Anschließend kann man live diskutieren. „Wird jemand ausfällig, unterbrechen wir die Leitung“, sagt Shay, der selbst gern provoziert. Im letzten Jahr rief er an Purim, das in Israel parallel zum hiesigen Fasching oder Karneval gefeiert wird, bei Funktionären in Teheran an, um zu fragen, ob sie dem jüdischen Volk nicht ein frohes Fest wünschen wollten. „Die meisten wussten nicht, was sie sagen sollten“, sagt er lachend. „Es war irre komisch.“
Der Austausch mit den Hörern sei fast immer freundlich. „Gerade die iranischen Hörer reden viel über die Gemeinsamkeiten von Iranern und Juden.“ Die Hetze ihrer Regierung täte ihnen leid. „Sie wollen den Schaden wiedergutmachen, den Präsident Ahmadinedschad anrichtet.“
Ein jüdisches Radio, das auf Farsi sendet
Ähnliches schwebte Shay vor, als er den Sender konzipierte, um eine Brücke zu schlagen zwischen Tel Aviv und Teheran. „Wir sind das einzige jüdische Radio, das in Farsi sendet“, sagt er. RadisIN finanziert sich aus Spenden. „Wir könnten viel mehr Hörer erreichen, wenn wir das nötige Geld für die Vermarktung hätten“, sagt Shay, der trotzdem jede staatliche Förderung ablehnt. „Wir sind ein Sender des Volkes und wollen keine Regierungsgelder.“
Vermutlich würden die Behörden einen Antrag auf staatliche Unterstützung sogar wohlwollend bearbeiten, denn in den Programmen geht es viel um das Israel, das in den Nachrichten zu kurz komme, nicht um den Besatzungsstaat, sondern um den Holocaust und um die Geschichte des Judenstaates.
Manchmal schicken iranische Hörer Nachrichten über Facebook mit der Bitte, angerufen zu werden. Vom Iran aus nach Israel zu telefonieren ist kaum möglich. „Deshalb rufen wir an“, sagt Shay. Geredet wird über alles, nur nicht über Politik, „das kann sie teuer zu stehen kommen“. Ein möglicher Krieg beschäftige seine iranischen Hörer ohnehin weniger als die Armut in ihrem Land.
Der Kriegsgedanke zieht Herzen zusammen
Für die iranischen Juden in Israel ist der möglicherweise bevorstehende Präventivschlag hingegen das zentrale Thema. „Bei dem Gedanken an einen Krieg zieht sich uns allen das Herz zusammen“, sagt Orly Noy, die neun Jahre alt war, als sie mit ihren Eltern nach Israel umzog. Noy hat schulterlanges dunkles Haar und kräftige Augenbrauen, trägt eine schlichte Jeans mit T-Shirt und spricht voller Wärme von ihrer Großmutter, bei der sie als Kind die Sommerferien verbrachte, bevor sie nach Israel kam.
Die heute 42-Jährige ist zerrissen zwischen den beiden Ländern und Kulturen, die sie einander näherzubringen versucht. Ihre erste Übersetzung aus dem Persischen, die Gesellschaftssatire „Mein Onkel Napoleon“ von Iraj Pezeshkzad, steht kurz vor der Veröffentlichung. „Wer in den 70er oder 80er Jahren im Iran aufgewachsen ist, kennt das Buch.“ Auf ihrer hebräischen Facebook-Seite verbreitet sie musikalische Klassiker und moderne Videoclips aus dem Iran.
Noy macht sich keine Illusionen. Sie gehört zu den letzten Israelis mit iranischen Wurzeln, die Farsi noch fließend sprechen und schreiben können. Die Versuche, es ihren zwei Töchtern beizubringen, nimmt sie selbst nicht ernst. „Es ist schwer, zu Hause Farsi zu sprechen, wenn einer der Partner nicht aus dem Iran kommt.“ Schon vor 20 Jahren, als sie ihre Wehrpflicht beim militärischen Nachrichtendienst leistete, „musste zusätzlich Personal auf Farsi ausgebildet werden, weil nicht genügend Rekruten da waren, die es von Hause aus konnten“.
Nicht sehr religiös
Heute ist Noy Sprecherin von Ir Amim (Stadt der Völker), einer Nichtregierungsorganisation, die sich mehr Gerechtigkeit für beide Völker wünscht. Die gebürtige Iranerin ist untypisch für ihre Gruppe, was schon mit ihrem Wohnort Jerusalem anfängt. Tel Aviv und die südliche Nachbarstadt Holon sind die Hochburgen der iranischen Juden. Viele sind kleine Händler, die meisten traditionell jüdisch. „Die Frage, wie religiös man ist, stellt sich für die Juden, die aus islamischen Ländern gekommen sind, nicht“, erklärt Noy.
Orthodoxes und ultraorthodoxes Judentum gibt es nur bei den Aschkenasen (aus Europa bzw. aus Osteuropa stammende Juden). Bei den Sefarden (Juden orientalischer Herkunft) „ist man entweder fromm, das heißt, man fastet an Jom Kippur und isst Matzebrot an Pessach, oder man ist es nicht.“
Auch Noys politische Haltung unterscheidet sie deutlich von der Mehrheit der aus dem Iran stammenden Israelis, über die sie mit Sympathie und zugleich mit kritischer Distanz spricht. „Die orientalischen Juden“, sagt sie bedrückt, „stehen politisch weiter rechts als die anderen.“ Das hänge damit zusammen, dass sie, weil sie aus islamischen Ländern kämen, in Israel mit Misstrauen betrachtet würden. Die kleine Gruppe der iranischen Juden gehe in der Gruppe der Sefarden unter.
Orientalische Juden müssen sich von den Arabern abgrenzen
„Der Tenor war stets: Ihr seht aus wie Araber, sprecht ihre Sprache, und wenn ihr jetzt noch anfangt, sie zu mögen, dann dauert es nicht mehr lange, und ihr seid selber welche.“ Um zum israelischen Kollektiv zu gehören, hätten sich die orientalischen Juden deshalb abgrenzen und eine klare antiarabische Position einnehmen müssen.
„Die Gemeinde der Iraner spricht nicht über den Krieg.“ Es soll nur keiner denken, man sei weniger patriotisch oder weniger zionistisch als andere. Noy selbst hält mit ihrer Meinung nicht zurück: „Die israelische Hysterie ist lächerlich“, sagt sie. Es gehe nicht immer nur um Israel. „Die Iraner wollen die Bombe aus Verteidigungsgründen.“
Mit dieser Haltung ist sie in Israel nicht allein. Seit ein paar Wochen schickt ein israelisches Ehepaar Friedensbotschaften nach Teheran. Vor dem Hintergrund eines roten Herzchens steht dort: „Iranians we love you“. Die Antwort kam prompt: „We Iranians love you too.“ Tausende auf beiden Seiten drückten die „Like it“-Taste und schickten eigene Fotos, die jetzt auf der Internetseite www.israelovesiran.com gesammelt werden. Bei Noy und ihrer Familie stieß die Initiative auf begeisterte Zustimmung. Was sie seit Jahren privat praktiziert hatten, war ohne ihr Zutun plötzlich in.
„Nicht soviel auf das Gerede aus Teheran geben“
Von den aus dem Iran immigrierten Israelis mag sich keiner vorstellen, dass die Regierung in Teheran tatsächlich eines Tages angreifen wird. In der Tel Aviver Herzl-Straße, in der ein kleiner Laden neben dem anderen Billigware anbietet, verkauft Yair Chalid selbst zugeschnittene Damenkostüme, T-Shirts und einfache Anzüge. Chalid findet, dass man auf das antiisraelische Gerede in Teheran nicht allzu viel geben sollte. Der alte Herr weiß, wovon er spricht. Er war fast 40, als er den Iran verließ. „Wenn alle ’Tod für Israel‘ rufen, dann rufen das eben alle“, erklärt er die Dynamik in seinem Heimatland. „Wenn du einen fragst, warum er das macht, antwortet er: ’Weil es alle tun.‘“
Chalid ist die Antithese des Modeverkäufers. Sein langärmeliger dunkelblauer Pullover mit V-Ausschnitt, Schulterklappen und Brusttaschen macht den leicht übergewichtigen Händler nicht gerade zur eleganten Erscheinung. Das kleine Geschäft ist wenig einladend. Kostüme und Anzüge sind fast alle nach demselben Schnitt und aus dem gleichen Stoff geschneidert, mal gepunktet, mal gestreift. „B.G.“ steht darauf, die Initialen von Chalids Schwager Benay Gangir.
Die Juden im Iran hätten es nicht schwerer
Im Hintergrund läuft persische Musik aus dem Computer. Das sei nicht Radio RadisIN, sagt Chalid, obwohl er den Sender auch oft höre. Bis vor zwei Jahren hat er seine alte Heimat noch regelmäßig besucht, mit Zwischenstopp in Istanbul und dann mit dem alten iranischen Pass weiter bis nach Teheran. Umgekehrt besuchten seine Tanten und Cousins Israel von Zeit zu Zeit, wobei keiner von ihnen an einen Umzug denke. „Sie haben es im Iran nicht schwerer, weil sie Juden sind“, sagt er mit breitem Akzent. „Den meisten Menschen dort ist es völlig egal, welcher Religionsgemeinschaft jemand angehört.“
Wenn er nicht gerade Stoffe zuschneidet oder Kundschaft bedient, was nicht allzu oft vorzukommen scheint, dann spielt Chalid auf seiner Santur. Zwei Instrumente hat er schon gebaut, eins liegt immer im Laden, das zweite zu Hause, ein drittes – „fürs Auto“ – ist im Bau. „Im Iran war es wirtschaftlich viel leichter für uns“, sagt er wehmütig. Chalid holt das Instrument aus der Kiste und legt es auf den Zuschneidetisch. Als er mit zwei zarten Holzstäbchen die Saiten anschlägt, breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
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