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Iranische Gegenwart im TheaterChorsingen unter Lebensgefahr

Das Theater an der Parkaue Berlin zeigt „Antigones Vermächtnis“ im renovierten Stammhaus. Die Inszenierung konzentriert sich auf Frauen im Widerstand.

Gewidmet ist die Inszenierung der iranischen Protestbewegung „Jin, Jiyan, Azadi“ Foto: Sinje Hasheider

Fest umklammert Kreon die Beine der Widerstandskämpferin. Hilflos streckt diese ihre Hände nach oben, erträgt angeekelt, dass er seinen Kopf an ihren Oberschenkel schmiegt und streichelt dann mit spitzen Fingern über seinen Rücken. Kreon liegt da wie ein Hund, bemitleidet sich gerade selbst und sucht dafür beim Chor der Widerstandskämpferinnen Unterstützung.

Er hat sowohl Sohn als auch Ehefrau durch Selbstmord verloren und gibt dafür Antigone die Schuld. Dass er als Herrscher die Todesspirale, an deren Ende nur er und Antigones Schwester Ismene übrigbleiben, in Gang gesetzt hat, will er nicht zugeben.

Denis Pöppings Kreon läuft im mausgrauen Anzug umher, eine viereckige Bürokraten-Brille auf der Nase. So haut er Sätze raus wie: „Wenn ich nicht über ein folgsames Volk herrschen kann, dann lieber über Tote.“ Auf der Bühne 2 des Berliner Theaters an der Parkaue stehen einige Standscheinwerfer und eine Handvoll Stühle (Bühne: Jenny Kronberg). Draußen wird der Theatercontainer wieder abgebaut, der dem landeseigenen Berliner Kinder- und Jugendtheater als Ausweichspielstätte während der Sanierung des Stammhauses diente.

Kraftvoller Akt

Das Stück

Theater an der Parkaue, Berlin, Antigones Vermächtnis, Regie: Farnaz Arbabi, verschiedene Termine bis 24.1.25

Mit „Antigones Vermächtnis“, einem Auftragswerk der iranisch-schwedischen Dramatikerin Athena Farrokhzad für das Theater, gelingt ein kraftvoller Auftakt im runderneuerten alten Haus. Farrokhzad und Farnaz Arbabi, iranisch-schwedische Regisseurin und Intendantin des Stockholmer Kinder- und Jugendtheaters „Unga Klara“, ließen sich dazu von Frauen im Widerstand weltweit inspirieren.

So hat der langjährige Parkaue-Schauspieler Pöpping als König von Theben nur zwei Kurzauftritte, sonst gehört die Bühne einem Dreier-Chor der Widerstandskämpferinnen (Birgit Berthold, Caroline Erdmann, Elisabeth Heckel) und dem ungleichen Schwesternpaar Antigone und Ismene.

Nach einer kurzen Stunde intensiven Bühnendialogs, bei dem der antike Mythos präsent bleibt und durch den Zusammenprall der beiden Schwestern ins Jetzt geholt wird, skandieren alle fünf: „Vergiss nicht, jede Schwester hat einen Chor. Vergiss nicht, jede Widerstandskämpferin hat eine Schwester.“ Selten poppt Widerstands-Agitprop in den Chor-Szenen auf, eigentlich führt das Heranzoomen an die Konstellation Antigone/Ismene dazu, Motivation und Zweck von Widerstand einer kritischen Untersuchung zu unterziehen.

„Jin, Jiyan, Azadi“

So stolziert Theresa Hennings Antigone mit dem Nimbus einer Widerstands-VIP-Ikone umher, für den sie vom Chor immer mal wieder zur Ordnung gerufen wird. Nina Niknafs Ismene kann man dabei zusehen, wie sie sich von der übermächtigen toten Schwester schrittweise emanzipiert und konstatiert: „Der Mythos um MärtyrerInnen ist meiner Schwester zu Kopf gestiegen. Sie wollte ihr Leben etwas Großem opfern.“

Gleichzeitig macht Ismene im Dialog mit dem Chor, einem Weisheits-Cluster aus Frauen, die im früheren Leben beim Widerstand waren, einen Bewusstseinswerdungsprozess durch. Ismene weiß jetzt: „Ich werde überleben. Ich werde meine Schwester bei Tageslicht begraben. Ich werde mich dem Chor der kämpfenden Frauen anschließen. Wir werden alle Statuen des Königs umstoßen. Wenn ich muss, suche ich Asyl in einem fremden Land. Ich werde leben.“

Gewidmet ist die Inszenierung der gegenwärtigen Protestbewegung „Jin, Jiyan, Azadi“ (deutsch: Frau, Leben, Freiheit) im Iran. Dort leisten Frauen unter Lebensgefahr vielfältigen Widerstand. So halten sie an den Gräbern ihrer vom Regime ermordeten Kinder Reden. Denn sie lassen sich nicht davon abhalten, die Wahrheit über deren gewaltsamen Tod zu verbreiten. Auch wenn danach das Regime zuschlägt.

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