Investigativjournalist über Überwachung: „Ich beneide Sie“
Der Brite Duncan Campbell über das, was sich nach Snowdens Enthüllungen politisch getan hat und was ihn frustriert.
taz: Herr Campbell, sie haben schon vor Jahrzehnten die Existenz weltweiter Überwachungssysteme enthüllt. Konnte Edward Snowden Sie überhaupt noch schocken?
Duncan Campbell: Wer die Technologie verstand, wusste bereits vor Enthüllungen von Snowden, was alles möglich war. Was aber auch mich wirklich überraschte, war das tatsächliche Ausmaß der Überwachung. Wir konnten ja nicht ernsthaft davon ausgehen, dass sich die massenhafte Überwachung durch westliche Geheimdienste mehr oder weniger gegen alle Menschen richtet. Das ist ein Schock, ein ernster.
Was hat sich seit den Snowden-Enthüllungen politisch getan?
Snowdens Name wird auf Jahrzehnte damit verbunden bleiben, ein neues gesellschaftliches Bewusstsein erzeugt zu haben. Welche politischen und rechtlichen Veränderungen damit einhergehen, lässt sich nicht abschließend sagen. Es sieht ja eher so aus, als gebe es enttäuschend wenige Konsequenzen. Für mich als Briten ist das besonders frustrierend.
Wieso?
Wir haben die internationalen Menschenrechtskonventionen mit hervorgebracht, und heute versucht Großbritannien, sich davon abzuwenden.
Wir sehen aber andererseits auch, dass staatsferne Institutionen wie Wikileaks große Macht entfalten können. Hat das nicht wirklich eine neue Qualität?
Ja, einerseits. Was sich dennoch nicht verändert hat, sind die grundlegenden Machtstrukturen. Der Einfluss der Finanzbranche auf die politische Sphäre ist nach wie vor ungebrochen. Das Gleiche gilt für die Architektur der globalen Geheimdienstzusammenarbeit. Es gibt zwischen Dutzenden westlichen Nachrichtendiensten Kooperationsverträge auf operativer Ebene, die ganz pragmatisch die Institutionen der repräsentativen Demokratien unterlaufen. Wir haben etwa in Großbritannien ein großes Problem, diese staatliche verfassungsrechtliche Kontrolle überhaupt herzustellen. In Deutschland haben Sie ja Glück gehabt.
Jahrgang 1952, ist ein britischer Investigativjournalist und befasst sich seit Jahrzehnten mit staatlichen Überwachungssystemen. 1976 enthüllte er die Existenz des britischen Geheimdienstes GCHQ. 1988 machte er das weltweite Spionagenetzwerk Echelon bekannt. Wegen seiner Arbeit wurde er selbst jahrelang nachrichtendienstlich überwacht.
Wie meinen Sie das?
Es ist ja leider eine der Lehren aus der Geschichte, dass sich die großen Bewegungen, die sich gegen Unterdrückung zur Wehr gesetzt haben, oft erst aus echtem Leid entstanden sind. Die Erfahrungen mit dem Naziregime und der Stasi haben in Deutschland immerhin die Tradition begründet, gegenüber Überwachung äußerst skeptisch zu sein. Die Generation meiner Eltern hat im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland gekämpft. Heute ist die Bevölkerung, zumindest in dieser Hinsicht, in Deutschland weiter als in Großbritannien. Ich beneide Sie da.
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