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Interview„Gar nicht peinlich“

■ Karen Medrow-Struß vom Elternverein Hamburg unterstützte den Pisa-Boykott

taz: SPD-Landeschef Olaf Scholz hat verkündet, eine Schulformdebatte nach Pisa sei das Falscheste, was man machen könnte. Sehen Sie das auch so?

Karen Medrow-Struß: Wir sind sehr unzufrieden, dass die SPD-Führung sich nicht in die Strukturdebatte begibt. Ich bin selbst SPD-Mitglied, und die Basis führt längst die Schulformdebatte, die Pisa uns nahelegt. Deutschland ist fast das einzige Land, das Schüler nach Klasse vier selektiert. Als ob uns das angeboren wäre. Noch so gute Pädagogik nützt nichts in einen System, wo es auf die Selektion ankommt. Wir führen diese Debatte seit 20 Jahren und nicht erst seit Pisa. Ich gehörte der Elterngruppe „Protest gegen Test“ an, die sich Pisa verweigert hat.

Warum?

Wir brauchten diesen Test nicht. Dass Selektion nicht Leis-tung bringt und soziale Herkunft den Bildungserfolg bestimmt, wussten wir vor Pisa.

Trotzdem zitieren Sie Pisa.

Die Ergebnisse der Pisa-Studie international zweifle ich gar nicht an. Aber ich habe Befürchtungen, was daraus gemacht wird. Damals vor drei Jahren, als es den Elternprotest gab, war Hamburg total testmüde. Wir hatten nach den Studien TIMMs und LAU den Eindruck, die Kinder machen nur noch Tests, und die Schule wird dadurch nicht besser. Da haben wir gesagt: Schluss mit dem ewigen Messen und Wiegen.

Nützen die Ergebnisse trotzdem?

Zur Zeit nutzt jeder Pisa, wie er möchte. Schulsenator Lange verordnet flugs eine Stunde Deutsch und Mathe und streicht Förderstunden für Schwache. Herr Stoiber in Bayern nutzt Pisa für eine Einwanderungsdebatte. Und wenn wir hören, was die Handelskammer fordert, müssen wir eine Privatisierung nach englischem Vorbild fürchten. Womöglich gibt es bald auch Schul-Ranking-Tabellen, für die wir unsere Kinder bis ins frühkindliche Alter unter Druck setzen, damit wir Spitzenreiter sind.

Ist es nicht peinlich, wenn Hamburg bei Pisa fehlt?

Ich finde das gar nicht peinlich. Wenn ich mir angucke, was Lange nun macht, haben wir Recht gehabt. Ich freue mich, dass es in Hamburg kritische Eltern gibt, die gucken, was sie mitmachen müssen. Wir haben die Ängste der Eltern bekannt gemacht. Die Fragen der Studie über die soziale Herkunft waren auch sehr persönlich. Da mussten Kinder angeben, ob sie einen Rasenmäher haben und wieviel Meter Bücher im Schrank stehen. Das ist nicht für alle angenehm.

Fragen: Kaija Kutter

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