Interview mit Umweltaktivist Nnimmo Bassey: "Täglich sterben Menschen"
"Die größte Gewalt ist die Umweltverschmutzung", sagt der Alternativ-Nobelpreisträger Nnimmo Bassey. Das Öl mache das Land reich – aber bei den Menschen komme nichts an.
taz: Herr Bassey, Sie sind aus Nigeria nach Berlin gekommen, um am Samstag an Protestaktionen gegen die globale Agrarpolitik teilzunehmen. Worum geht es Ihnen dabei?
Nnimmo Bassey: Die europäische Landwirtschaft ist ein globales Thema. Was auf den Weltmärkten passiert, wirkt sich in Nigeria sofort aus, weil Nigeria eine sehr offene Wirtschaft hat. Die Preise steigen, die Kaufkraft sinkt. In Ländern wie Ghana oder Kamerun haben Geflügelimporte die ganze Branche ruiniert. Je mehr Nahrungsmittel importiert werden, desto höher steigt bei uns die Arbeitslosigkeit. Deswegen wollen wir die einheimische Produktion stärken.
Aber Nigerias Wirtschaft ist komplett auf das Öl ausgerichtet, und der derzeitige Höhenflug der Ölpreise müsste doch Nigeria nützen.
Nnimmo Bassey leitet "Friends of the Earth International" und in Nigeria die Umweltgruppe "Environmental Rights Action". 2010 erhielt er den Alternativen Nobelpreis.
Es ist eine paradoxe Situation. Das Öl hat unsere Landwirtschaft und unsere Fischerei zerstört. Am Öl verdient das Land viel Geld, aber es kommt nicht bei den Menschen an. Es ist ein abgeschotteter Sektor. Früher war Nigeria agrarisch geprägt, und das hat uns zusammengehalten: Der Norden produzierte Baumwolle und Erdnüsse, der Westen Kakao, der Osten Palmöl, das Zentrum Kautschuk. Man brauchte Infrastruktur, und es gab Austausch zwischen den Regionen. Dann kam das Öl. Dafür braucht man keine Infrastruktur, keine Bauern. Wir wollen jetzt, dass das Öl im Boden bleibt. Wir wollen ein "Postpetroleum"-Nigeria aufbauen. Wir müssen das Land wieder saubermachen.
Nigeria hat jetzt mit Goodluck Jonathan erstmals einen Präsidenten aus den Ölregionen des Nigerdeltas. Funktionieren seine Bemühungen, den Ölsektor zu reformieren?
Mit seinem Ölgesetzentwurf versucht Jonathan, Vernunft in den Ölsektor einzuführen. Lange Zeit sah sich niemand an, wie bei uns das Öl funktioniert. Die Militärregierungen waren nicht an Rechenschaft interessiert, und die Ölfirmen liebten das. Jetzt schimpfen sie über den Ölgesetzentwurf, und ich bezweifele, dass er vor den Wahlen im April verabschiedet wird.
Was muss sich in Nigeria verändern?
Wir brauchen eine Regierung, die unabhängig ist, die sich nicht dem Diktat von Weltbank und IWF beugt. Unser Volk muss die Macht seiner Wählerstimme nutzen; dafür brauchen wir Parteien, die klar sagen, wofür sie stehen. Im Moment wählt man nur für Individuen. Unsere Politik ist wie ein Spielautomat: Man wirft eine Münze hinein, zieht einen Hebel und wartet, was dann wohl herauskommt.
Haben die Nigerianer die Geduld, auf Reformen zu warten? Das Nigerdelta ist ja bereits hochgradig militarisiert.
Die Lage im Nigerdelta ist sehr speziell. Es herrscht Gewalt. Die größte Gewalt ist die Umweltverschmutzung, die täglich Menschen tötet. Nigerias Regierung muss die Probleme an der Wurzel angehen. Was nützt es, Krankenhäuser zu bauen, wenn direkt daneben weiter Erdgas abgefackelt wird, das die Leute krank macht? INTERVIEW: DOMINIC JOHNSON
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