Interview mit KZ-Forscherin: „Es wurde Columbia-Hölle genannt“

Politikwissenschaftlerin Karoline Georg über die Rolle des Columbia-Hauses für nationalsozialistische Machtstrukturen und die Situation jüdischer Häftlinge.

Der Rabbiner Leo Baeck gehörte zu den Häftlingen im Columbia-Haus Foto: Charlotte Meyer/Abraham Pisarek/akg images

taz: Frau Georg, was war die politische Lage, als im Frühjahr 1933 erste Häftlinge ins Columbia-Haus kamen?

Karoline Georg: Nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 setzte eine massive Verfolgung vor allem der Kommunistinnen und Kommunisten in Berlin ein. Im Zuge dessen wurden von der SA zahlreiche Inhaftierungsstätten geschaffen, die berühmten Folterkeller, die etwa in Kneipen eingerichtet wurden. Das waren mehr als 200, die teils nur einige Wochen existiert haben.

Das Columbia-Haus war aber ein Gefängnis der SS.

Dr. des. Karoline Georg

Jahrgang 1980, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Ihre Dissertation über die jüdischen Häftlinge im Columbia-Haus erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2021 im Metropol Verlag. Ein Vortrag von Karoline Georg zum Columbia-Haus kann auf dem Youtube-Kanal der Gedenkstätte Deutscher Widerstand gesehen und gehört werden.

Es war zunächst vor allem die SA, die damals Terror und Angst verbreitete. Die SS begann im Frühjahr 1933, Menschen in das ehemalige Militärgefängnis am Columbiadamm zu verschleppen. Ich würde sagen, dass das auch ein Versuch der SS war, die Verfolgung nicht komplett der SA zu überlassen, sondern dabei ebenfalls eine wichtige Kraft zu werden. Das alles passierte im Zusammenwirken mit der immer weiter erstarkenden Geheimen Staatspolizei (Gestapo).

Es ging also auch um Machtkämpfe zwischen verschiedenen Apparaten?

Ja. Es gab beispielsweise um die „Schutzhaft“ lange Kämpfe, bei denen auf beiden Seiten Nationalsozialisten standen. Es ging dabei vor allem darum, wer die Kontrolle über die Anwendung solcher Mittel und damit über die Verfolgung hatte. Da haben wir auf der einen Seite Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich, die im Frühjahr 1934 die Führung der Gestapo in Preußen übernommen hatten. Für sie war die „Schutzhaft“ ein wichtiges Machtmittel, mit dem sie definieren konnten, wer der politische Gegner ist und verfolgt wird. Das weitete sich ja mit dem Verbot der SPD im Juni 1933 schnell auf die Sozialdemokraten, auf Intellektuelle, Künstler, die Zeugen Jehovas aus. Diese Ausweitung war für Himmler und Heydrich sehr wichtig: Sie wollten Hitler zeigen, dass ihr Weg der gnadenlosen Verfolgung politischer Gegner der richtige ist.

Und auf der anderen Seite?

Das waren auch Nationalsozialisten, aber mit anderen Interessen. Zum einen muss hier Hermann Göring genannt werden, dem die Gestapo als preußischem Ministerpräsidenten zunächst unterstellt war. Und gegen den dauerhaften Einsatz der „Schutzhaft“ wandte sich zum Beispiel Innenminister Wilhelm Frick, weil es mit der Gestapo eine wichtige Verfolgungsbehörde gab, die ihm nicht unterstellt war. Aber er konnte sich nicht gegen die Gestapo durchsetzen, deren Macht sich bis 1936 im Sinne von Himmler und Heydrich immer weiter verfestigte. Auch das System der Konzentrationslager entwickelte sich in engem Zusammenhang mit der Gestapo und dem Geheimen Staatspolizeiamt Gestapa und setzte sich als System der Verfolgung im Nationalsozialismus durch.

Das Columbia-Haus diente also zur Verfolgung des Widerstands gegen die Nationalsozialisten und war zudem ein wichtiger Baustein für deren Machtsicherung?

Genau. Und es war ein Ort, wo die Gestapo Männer so lange inhaftieren konnte, wie sie Interesse daran hatte, sie zu verhören und zu foltern, ohne sie in das reguläre Strafsystem zu übergeben. Denn wenn man gar keine strafrechtlich relevanten Gründe hätte ermitteln können, um sie festzuhalten, hätte man sie ja freilassen müssen.

Es gab furchtbare Misshandlungen von Gefangenen im Columbia-Haus, Morde und Selbstmorde – warum diese ungeheure Brutalität?

Es war viel Rache im Spiel, es war so etwas wie ein Siegesrausch der nationalen Revolution: „Wir haben jetzt die Macht und wir nutzen sie.“ Und die Täter wurden in ihrer Brutalität, ihrem Sadismus ja auch nicht gebremst. Sie konnten morden, foltern und misshandeln, ohne Strafverfolgung zu befürchten.

Die Gewalt diente ja auch zur Einschüchterung, musste also nach außen bekannt werden. Wussten die Berliner*innen damals vom Columbia-Haus und dem, was dort passierte?

Eher nicht, die Gestapo hat schon versucht, das geheim zu halten. Aber unter den politischen Gegnern der Nazis war das Columbia-Haus sehr schnell bekannt, über Mund-zu-Mund-Propaganda, es wurde als Columbia-Hölle bezeichnet. Jeder Häftling, der entlassen wurde, musste zwar unterschreiben, dass er absolutes Stillschweigen über das bewahren würde, was dort geschehen war. Viele haben ihren Genossinnen und Genossen aber dennoch nachher berichtet, was ihnen dort widerfahren ist, und oft sah man ihnen das ja auch an, weil sie so schwer misshandelt worden waren. Interessant ist aber, dass über das Columbia-Haus relativ viel im Ausland berichtet wurde.

Wie kam das?

Viele Insassen verließen nach ihrer Haft Deutschland und verfassten im Exil dann teils selbst Berichte über ihre Haft oder berichteten anderen darüber. Kurt Hiller war ein prominentes Beispiel, er war im Juli 1933 als einer der ersten Häftlinge im Columbia-Haus. Andere Häftlinge haben ihre Erfahrungen in Romanform verarbeitet. Es hat aber auch die ausländische Presse über das Columbia-Haus berichtet, das prominenteste Beispiel ist der Manchester Guardian, der hatte einen deutsch-britischen Korrespondenten in Berlin, Frederick A. Voigt, der von 1933 bis 1934/35 zahlreiche Artikel geschrieben und dafür offenbar auch mit ehemaligen Häftlingen gesprochen hat. Das heißt, im Ausland war das Columbia-Haus möglicherweise bekannter als im Inland, was auch dazu führte, dass es 1935 auf dem Broadway die Premiere eines Theaterstückes gab, „Till the Day I Die“ von Clifford Odets. Darin geht es um die Verfolgung einer kommunistischen Gruppe und die Inhaftierung eines Kommunisten, der dann im Columbia-Haus schwer misshandelt wird.

Aktuell beschreibt Volker Kutscher in seinem neuen Krimi „Olympia“, wie Columbia-Häftlinge das KZ Sachsenhausen mit aufbauen. Ist das historisch richtig?

Ja, und es sind wohl sogar auch Planungszeichnungen für das Konzentrationslager Sachsenhausen von Häftlingen im Columbia-Haus angefertigt worden. Es wurde dort auch ein Zellenbau errichtet, der die Funktion des Gestapogefängnisses weiter erfüllte. Dorthin wurden einige Häftlinge aus dem Columbia-Haus dann überstellt.

Das Columbia-Haus wurde für den Bau des Flughafens restlos beseitigt. Wurde es auch deshalb zum „vergessenen Lager“ – weil schlicht nichts mehr zu sehen war?

„Was die NS-Geschichte des Tempelhofer Feldes betrifft, hat man sehr schnell sehr viel vergessen“

Natürlich macht es das Erinnern schwerer, wenn da gar nichts mehr steht. Doch was die NS-Geschichte des Tempelhofer Feldes betrifft, hat man sehr schnell sehr viel vergessen. Da geht es nicht nur um das Columbia-Haus, sondern auch um die Zwangsarbeit, die dort stattgefunden hat, oder auch die riesigen Naziaufmärsche, die es dort seit 1933, etwa zum 1. Mai gab, wo dort vermutlich eine Million Menschen waren. Es hatte als Ort also eigentlich eine stark nationalsozialistische Prägung. Aber mit der Luftbrücke kam es ab 1948 dann zu einer sehr positiven Besetzung des Tempelhofer Feldes.

Hatte das Vergessen vielleicht auch mit den Insassen zu tun, Homosexuelle, die ja weiter verfolgt wurden, Kommunisten, die man in Westberlin vielleicht nicht so schätzte, weil sie später teils wichtige Funktionäre in der DDR waren?

Wir können nicht genau beziffern, wie viele der Gefangenen im Columbia-Haus homosexuelle Männer waren. Anhand der vorliegenden Quellen können wir aber sagen, dass 1935 mehr homosexuell als politisch verfolgte Männer eingeliefert wurden, vielleicht geht das in die Tausende. Dass es nach dem Krieg durch die weitere Verfolgung männlicher Homosexualität keinerlei Anerkennung dieser Verfolgung im Nationalsozialismus gab, führte auch dazu, dass zum Ersten kein gesellschaftliches Klima bestand, über diese Verfolgung zu sprechen, und zum Zweiten diese Männer sich in Gefahr begeben hätten, wenn sie über ihre Verfolgung als Homosexuelle gesprochen hätten. Denn sie konnten ja weiter verfolgt werden.

Und die Kommunisten?

Möglicherweise wäre man mit einem Ort, an dem so viele Kommunisten und auch später bekannte DDR-Funktionäre inhaftiert gewesen sind, in Ostberlin anders umgegangen. Man hätte sicher nicht wie hier erst 1994 nach der Wiedervereinigung ein Mahnmal aufgestellt. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt, der das Erinnern an das Columbia-Haus erschwert: Es war für viele Männer der Beginn einer Odyssee durch viele Lager, oft bis 1945, wenn sie das überlebt haben. Wenn diese Männer später ihre Erinnerungen aufgeschrieben haben, stand das Columbia-Haus, wo sie meist eher kurze Zeit verbrachten, oft im Hintergrund. Wer danach noch fünf Jahre in Sachsenhausen gesessen hat, erwähnt das Columbia-Haus eher als Beginn dessen, was noch kommen sollte. Deswegen wurde das Lager lange nicht so wahrgenommen wie Sachsenhausen. Selbst geschichtsinteressierte Menschen wissen oft gar nicht, dass es das Columbia-Haus gegeben hat.

Sie haben sich in Ihrer Dissertation speziell den jüdischen Gefangenen im KZ Columbia gewidmet, was sind Ihre Erkenntnisse?

„Wir sehen, dass es von Anfang an Häftlinge gab, die aus genuin antisemitischen Gründen verfolgt wurden“

Es gab damals noch keine spezielle Kennzeichnung jüdischer Häftlinge und keine physische Trennung von den nichtjüdischen Gefangenen. Und die jüdischen Häftlinge im Columbia-Haus waren oft doppelt verfolgt: Es waren Kommunisten, Sozialdemokraten oder intellektuelle Pazifisten wie Kurt Hiller, sie wurden aus verschiedenen Gründen verschleppt. Aber was wir sehen können, ist, dass sie noch deutlich härteren Haftbedingungen ausgesetzt waren als die nichtjüdischen Gefangenen – das beginnt bei antisemitischen Beschimpfungen und Demütigungen und geht bis zu besonders schweren Misshandlungen, die meist auch antisemitisch aufgeladen sind.

Antisemitismus war also Praxis.

Ja, und wir sehen auch, dass es von Anfang an Häftlinge gab, die aus genuin antisemitischen Gründen verfolgt wurden: weil die NSDAP eine antisemitische Partei war, die zunächst die Vertreibung aller Juden aus Deutschland zum Ziel hatte, was auch mit Terror verfolgt wurde. So wurde etwa Max Naumann, der Leiter des Verbandes nationaldeutscher Juden, im Columbia-Haus inhaftiert, der eigentlich selbst rassistisch dachte. Er trennte zwischen den eingesessenen deutschen Juden, die seiner Auffassung nach ein Teil der deutschen Volksgemeinschaft werden sollten, und den sogenannten Ostjuden. Da er sich damit gegen die Politik der Gestapo stellt, die die Juden zu der Zeit aus Deutschland vertreiben will, während Naumann sie aufruft, in Deutschland zu bleiben, wird er inhaftiert. Und dann haben wir die dritte Gruppe jüdischer Häftlinge, die als Homosexuelle inhaftiert wurden. Ein Artikel, der 1936 im Stürmer erschienen ist, zeigt die Verwicklung von antisemitischen und homosexuellen Narrativen: Dass Juden nämlich in besonderem Maße andere Männer zu homosexuellen Handlungen anstiften würden. Ansonsten kann man aber relativ wenig zu dieser Gruppe sagen, weil die Forschung zu homosexuellen Häftlingen wegen der Quellenlage schwieriger ist.

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